Eine kritische Haltung zur modernen Krebsmedizin

05.08.24

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Mirjam Barmet, Rechtsanwältin und Stiftungsrätin von Palliaviva.Mirjam Barmet engagiert sich auch vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Erfahrungen für Palliative Care. (Fotos: Lea Waser)

Die Rechtsanwältin Mirjam Barmet setzt sich aus Überzeugung für die spezialisierte Palliative Care ein. Sie ist Stiftungsrätin von Palliaviva. Eine Rolle spielt bei diesem Engagement auch ihre Mutter.

Mirjam Barmets Büro befindet sich im Zürcher Universitätsviertel, einem von den vielen Studentinnen und Studenten geprägten Quartier. Direkt vor dem Bürogebäude rauschen das 9-er- und das 10-er-Tram vorbei, es ist nicht weit bis in die City und nicht weit an die Limmat oder in den Zürichberg-Wald.

Neugierig und breit interessiert

Mirjam Barmet hat sich früh als Anwältin selbstständig gemacht. Sie ist eine fröhliche Frau mit offenem Blick, die neugierig ist und sich für vieles interessiert. Und sie ist bescheiden. Auf die Frage, was sie neben Arbeiten sonst noch so mache, antwortet sie: «Nichts Besonderes, ich führe ein recht unspektakuläres Leben.»

Sie wohnt in Zürich-Albisrieden, schaut abends gerne Netflix ­– zurzeit gerade zum zweiten Mal die israelische Fernsehserie «Fauda» –, ist in den Ferien eine begeisterte Taucherin und hat vor einiger Zeit das Podcast-Hören für sich entdeckt. «Zeit Verbrechen» gehört zu ihren Favoriten, obschon sie als Anwältin nicht auf Strafrecht spezialisiert ist.

Einblick in fremde Welten

Mirjam Barmet ist Expertin für öffentliches Recht, das die Rechtsbeziehung zwischen dem Staat einerseits und den Bürgerinnen und Bürgern andererseits regelt. So vertritt sie beispielsweise Firmen in strittigen Verfahren, wenn Unternehmen das Resultat einer Ausschreibung durch den Kanton anfechten. «Hier geht es zwar nicht um Leben und Tod, doch manchmal um berufliche Existenzen», betont sie. Oder sie vermittelt zwischen Eltern und Schulen, wenn es zu Streitigkeiten darüber kommt, ob ein Kind sonderpädagogische Massnahmen benötigt.

Dabei gehe es immer darum, die beste Lösung für das betroffene Kind zu finden, sagt Mirjam Barmet – und eine Einigung zu erlangen, mit der alle gut leben können. «Reden, reden, reden» führe hier häufig zum Ziel, führt sie aus.

Wenn Mirjam Barmet erzählt, wird vieles, das zunächst trocken und nach verstaubten Aktenstapeln klingt, lebendig und interessant. «An meiner Arbeit mag ich, dass ich Einblick in Welten bekomme, mit denen ich sonst nichts zu tun hätte», sagt sie. Ihr Antrieb sei die Suche nach Fairness, und ihre Fälle seien juristisch häufig enorm spannend. Oft würden Fragen geklärt, auf die vorher noch nie jemand eine Antwort gesucht habe.

Diagnose Eierstockkrebs

Als die Rede auf ihr Engagement bei Palliaviva kommt, ist bei ihr eine kurze Anspannung zu spüren. Aber natürlich hat sie die Frage, wie sie Stiftungsrätin wurde, erwartet. Sie erzählt, ihre Mutter sei 2017, rund fünf Jahre nach der Diagnose Eierstockkrebs, gestorben. «Das hat mich geprägt wie vermutlich nichts anderes in meinem Leben. Fünf Jahre lang drehte sich bei mir privat fast alles um die Krebserkrankung meiner Mutter.»

Mirjam Barmet erlebte den behandelnden Onkologen als Arzt mit einer einzigen Mission: der Mission, zu heilen. Dabei sei bereits bei der Diagnose festgestanden, dass ihre Mutter unheilbar krank sei. Ihr ist unverständlich, dass ihrer schwer kranken Mutter trotzdem eine belastende Chemotherapie nach der anderen empfohlen wurde. «Der Onkologe sprach von abstrakten Werten wie Tumormarkern, die angeblich eine Rolle spielten, während er eine Frau vor sich hatte, die nur noch Haut und Knochen war.»

Einsatz für den palliativen Weg

Sie stört sich sehr daran, dass mit ihrer Mutter von professioneller Seite her erst sehr spät thematisiert wurde, welche Alternativen es gäbe – den palliativen Weg etwa, mit dem Ziel, die Lebensqualität so lange wie möglich zu erhalten und auf individuelle Wünsche einzugehen. «Im letzten halben Jahr ihres Lebens konnte meine Mutter selbst nicht mehr unterscheiden, welche Beschwerden von der Chemotherapie und welche von der Krankheit herrühren.»

Mirjam Barmet räumt ein, in dieser Situation sei es auch für sie schwierig gewesen, mit ihrer Mutter über das Sterben und den Tod zu sprechen. «Erst im Lighthouse, wo sie dann knapp vier Wochen nach ihrem Eintritt starb, begann man, mit ihr über das Ende zu reden.»

Heute – mit einigen Jahren Distanz – sieht Mirjam Barmet den Arzt als «Komplizen, der meiner Mutter half, den Fragen um das eigene Ende aus dem Weg zu gehen». Sie sagt, diese Erfahrung sei einer der Gründe, warum sie sich als Stiftungsrätin bei Palliaviva engagiere. «Es ist wichtig, dass wir übers Kranksein und übers Sterben sprechen. Die spezialisierte Palliative Care beweist jeden Tag, dass man komplexe Symptome lindern kann und weder ein qualvoller Tod noch ein assistierter Suizid sein muss.» Das sei in der Bevölkerung noch zu wenig bekannt. «Palliaviva erbringt auch eine Leistung für die Gesellschaft.»

Mirjam Barmet, Stiftungsrätin von Palliaviva.

Mirjam Barmet stiess durch eine Kollegin zu Palliaviva.

Mit der Vergangenheit im Reinen

Zur spezialisierten Palliative-Care-Organisation kam die Rechtsanwältin durch einen Zufall. Dorothea Frei, die schon im Stiftungsrat war, fragte die damalige Geschäftspartnerin von Mirjam Barmet an, ob sie sich im Gremium einbringen wolle. Diese hatte zu viel zu tun, reichte die Anfrage aber an Mirjam Barmet weiter, die zusagte.

Mit ihrer persönlichen Geschichte und den Lehren, die sie für sich daraus gezogen hat, fühlt sie sich im Palliaviva-Stiftungsrat ausgesprochen wohl, und sie bringt auch die nötige Kompetenz mit. Viele Facetten aus der Zeit der Erkrankung ihrer Mutter hat sie zwar in trauriger Erinnerung. Insgesamt scheint sie mit der Vergangenheit aber versöhnt zu sein, wenn sie sagt: «Meine Mutter hat zugelassen, dass meine Schwester und ich den Weg mit ihr bis zum Schluss gehen konnten. Das verlieh unseren Leben und unserer Beziehung zu unserer Mutter eine neue Qualität.»

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