Aller Seelen gedenken
02.11.17
Hinterbliebene haben Kerzen und frische Blumen aufs Gemeinschaftsgrab auf dem Friedhof Höngg gelegt. Die sogenannten Seelenlichter brennen auch am 2. November noch (Bild: sa).
Heute ist Allerseelen, der Tag, an dem man sich traditionellerweise an die Verstorbenen erinnert. Die Mitarbeitenden von Onko Plus erzählen, wie sie sich ganz persönlich von den Toten verabschieden.
Gestern war Allerheiligen, heute ist Allerseelen. Streng genommen standen gestrigen katholischen Feiertag, am 1. November, alle Heiligen– die bekannten und unbekannten – im Mittelpunkt. Damit löst die katholische Kirche das Problem, dass nicht allen Märtyrern, die dem Christentum ihr Leben geopfert haben, ein einzelner Tag gewidmet werden kann. Ausserdem gibt es auch solche, die niemals heiliggesprochen wurden, weil man sie gar nicht kannte.
In katholische Gegenden der Schweiz gilt Allerheiligen als Feiertag. Traditionellerweise besucht man am Nachmittag den Friedhof und schmückt die Gräber seiner Liebsten mit Blumengestecken. Dass dies auch in einem reformierten Kanton wie Zürich noch Tradition hat, war in den letzten Tagen in den Auslagen der Blumengeschäfte offensichtlich. Man zündet auch Kerzen auf den Gräbern an, die Seelenlichter, die auch einen Tag später, an Allerseelen noch brennen. Die Lebenden gedenken an diesem zweiten Tag, der jeweils am 2. November stattfindet, den normalen Verstorbenen. In der reformierten Kirche wird den Verstorbenen am Toten- oder Ewigkeitssonntag gedacht. Er findet jeweils am letzten Sonntag im November vor dem ersten Advent statt.
Wie wir trauern
Als mobiles Palliative-Care-Team verlieren wir all unsere Patientinnen und Patienten früher oder später. Um mit diesen Verlusten klarzukommen und auch um die Verstorbenen zu ehren, führen wir regelmässig gemeinsame Trauerrituale durch. Einmal im Jahr gedenken der Verstorbenen, indem wir im Wald ein Feuer machen und symbolisch ihre Namen verbrennen.
Daneben haben die Mitarbeiterinnen und der Mitarbeiter von Onko Plus auch persönliche Rituale oder Gewohnheiten, wie sie sich von verstorbenen Patientinnen und Patienten verabschieden:
Nicole Rieser, Pflege: «Gerade wenn ich einen Patienten besser gekannt habe, gehe ich gerne vorbei, wenn er verstorben ist. Ich helfe dann beim Waschen, Anziehen und Herrichten der Person – natürlich nur, wenn das für die Angehörigen auch stimmt. Das hat immer etwas Würdevolles. Ich öffne danach meist ein Fenster. Vielleicht ist es ja so, dass die Seele hinauswill. Ich betone das aber nicht, sondern sage vielleicht, dass ein bisschen frische Luft jetzt gut tun würde. Manchmal zünde ich, zurück im Büro, eine Kerze an. Oder ich lasse beim Autofahren das Fenster runter. Der kalte Wind im Gesicht konfrontiert mich wieder mit dem Leben.»
«Es tut mir gut, wenn ich am anderen Ende der Leitung Erleichterung wahrnehme.» Liselotte Vogt
Liselotte Vogt, Pflege: «Ich frage bei den Angehörigen gerne telefonisch nach, wie es ihnen nach dem Todesfall geht. Ich gebe ihnen damit Gelegenheit, über das Erlebte zu reden. Für mich persönlich sind diese Gespräche ebenfalls wichtig zum Abschliessen und Verarbeiten. Es tut mir gut, wenn ich am anderen Ende der Leitung Erleichterung wahrnehme. Waren Situationen bei Patientinnen und Patienten zu Hause schwierig oder sehr eindrücklich, denke ich beim Walken im Wald darüber nach.»
Olaf Schulz, Pflege: «Stirbt eine Patientin, die ich intensiv betreut habe, öffne ich zu ihren Ehren eine Flasche Wein und stosse mit meiner Frau auf sie an. Manchmal erzähle ich ihr etwas über die verstorbene Person, natürlich in einer anonymisierten Form.»
«Mir hilft in der Trauer, mich bewusst verabschiedet zu haben.» Amira Spahic
Eveline Häberli, Pflege: «Für mich schliessen die Abschiedsgespräche, die wir jeweils ein paar Monate nach dem Tod mit den Hinterbliebenen führen, eine Patientengeschichte ab. Ich brauche kein weiteres eigenes Ritual. Für einen guten Freund, der früh gestorben ist, habe ich zu Hause einen kleinen Altar aufgebaut: mit einem Bild von ihm, seinen Initialen. Und ich trage eines seiner T-Shirts, das er oft anhatte.»
Amira Spahic, Pflege: «In der Trauer um eine Patientin hilft mir, mich bewusst zu verabschiedet zu haben, als sie noch lebte. Ich stelle mich dazu zum Beispiel am Fussende hin oder habe auch schon jemandem ins Ohr geflüstert: einen guten Weg! Geht mir ein Todesfall nahe und ich bin am Autofahren, fahre ich auch mal raus, nehme mir etwas Zeit und halte bewusst inne. Oder ich höre Musik und hänge meinen Gedanken nach.»
«Fahre ich am Wohnort vorbei, schicke ich einen Gruss in den Himmel.» Lea Furrer
Lea Furrer, Pflege: «Für mich ist das Verabschieden beim mutmasslich letzten Besuch auch sehr wichtig. Konnte ich das tun, stimmt es nachher für mich. Mir hilft, dass ich die Familie nochmals anrufen, gemeinsam reflektieren kann, was geschehen ist, und sich gegenseitig alles Gute zu wünschen. Ich denke auch oft an ehemalige Patientinnen und Patienten, wenn ich an ihrem Wohnort vorbeifahre. Ich schicke dann einen stillen Gruss in den Himmel.»
Sonja Hug, Administration: «Da ich die Patientinnen und Patienten nicht persönlich kenne, brauche ich für mich keine Trauerrituale. Trotzdem tut es mir natürlich leid, wenn ich höre, dass jemand gestorben ist. Ich halte dann manchmal kurz inne. Beim Trauern um einen guten Kollegen, der bei einem Verkehrsunfall aus dem Leben gerissen wurde, habe ich manchmal seine Combox angerufen. Seine Stimme zu hören, tat mir irgendwie gut. Später habe ich das nicht mehr gebraucht.»
Sabine Arnold, Kommunikation: «Um Patientinnen und Patienten wie Kathrin Täschler oder Fredy Scheitlin, die ich dank unseres Blogs kennenlernen und eine kurze Wegstrecke begleiten durfte, trauere ich wie um Freunde. Mir kommen die Tränen, ich öffne ein Fenster, halte kurz inne, zünde eine Kerze an, besuche vielleicht sogar die Beerdigung. Ich erzähle meinem Mann oder Freudinnen vom Verlust. Gut tut mir, wenn ich von Angehörigen höre, dass ihnen die veröffentlichten Geschichten helfen beim Trauern. Trotz flüchtigem Medium Internet schaffen wir hier etwas, das Bestand hat.»