Annette Ciurea – ein Tag mit der Palliativ- und Altersmedizinerin

04.03.25

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Ein Tag mit Annette Ciurea ist voller Kontraste und Emotionen. Mit den Spezialgebieten Palliativmedizin und Geriatrie ist die Ärztin auf Themen spezialisiert, die künftig noch wichtiger werden. Sie gehört zum Netzwerk von Palliaviva.

Rückblick. Frühling 2024, eine Abendveranstaltung von Alzheimer Zürich. Annette Ciurea hält einen mitreissenden Vortrag. Sie projiziert ein Foto ihrer Grossmutter an die Wand: Ihre Oma litt an Demenz. «Die Krankheit machte sich bemerkbar, als sie den Salat im Tiefkühler und das Glacé im Küchenschrank aufbewahrte», erzählt Annette Ciurea.

Einige Monate später, ein Montagmorgen mit Annette Ciurea im Alters- und Gesundheitszentrum Tägerhalde in Küsnacht. Hier, im Pflegeheim, in dem es auch eine Demenzabteilung gibt, könnte heute theoretisch auch Annette Ciureas Oma leben.

Annette Ciurea betreut in der Tägerhalde Menschen wie ihre Grossmutter. Es sind Leute, die zu Hause nicht mehr allein zurechtkommen, manchmal unter einer Demenz leiden, und die punktuell oder rund um die Uhr Pflege und auch medizinische Betreuung benötigen. Die Palliativmedizinerin und Geriaterin ist Geschäftsleitungsmitglied der Age Medical AG, ein Zusammenschluss von Altersmedizinerinnen und Altersmedizinern.

Age Medical hat in der Tägerhalde die Heimarztfunktion übernommen. Das bedeutet, dass Annette Ciurea und ihre Kolleginnen und Kollegen jene Bewohnenden im Zentrum medizinisch begleiten, die keinen anderen Hausarzt oder keine andere Hausärztin haben. Jeweils am Montag und Mittwoch macht Annette Ciurea vormittags ihre Visite im Heim.

Häufige Sterbewünsche

Ein Bewohner sitzt gepflegt gekleidet auf seinem perfekt gemachten Bett, als die Ärztin an die Tür klopft. Sie betritt das wohnlich eingerichtete Zimmer und setzt sich auf einen der weichen Sessel. Zwischen ihr und dem Bewohner steht sein Rollator. Der alte Herr erzählt, er möge nicht mehr leben, es dürfe jetzt schnell gehen. «Ich bin doch nur noch eine Belastung für die Familie. Und auch für mich selbst.»

Annette Ciurea

Zuhören können ist etwas vom Wichtigsten.

Annette Ciurea unterhält sich eine Weile mit ihm über sein Befinden, über Aktualitäten aus aller Welt und über die klassische Musik, die aus einem Lautsprecher tönt. Er ist gut informiert. Fast beiläufig fragt die Ärztin den Mann konkret nach Schmerzen und danach, wie sicher oder unsicher er sich beim Gehen fühle. Eine Abklärung in der Akutgeriatrie eines Spitals steht zur Diskussion, für eine Schmerzbehandlung und die Einstellung der Medikamente. Der Bewohner möchte lieber nicht mehr ins Spital, sondern in der Tägerhalde bleiben, wo er sich gut betreut fühlt.

«Das ist palliative Geriatrie», fasst die Ärztin danach zusammen. Es ist ihr Spezialgebiet. Der Mann leidet nach ihrer Einschätzung unter «Total Pain», ein Begriff aus der Palliativmedizin. «Total Pain» umfasst sowohl physische als auch psychische, soziale und spirituelle Dimensionen des Schmerzes. Im konkreten Fall hat Annette Ciurea unter anderem ein Antidepressivum verschrieben; dies in der Hoffnung, dass dieses das psychische Leiden etwas lindern kann.

«Sterbewünsche sind ein häufiges Thema in Alters- und Pflegezentren», sagt sie. «Wichtig ist mir ein wertschätzender Umgang und eine individuelle Behandlung der alten Leute, die bis zuletzt selbstbestimmt sein wollen.» Hier kämen ihr ihre Spezialisierungen in Geriatrie, Palliative Care und Psychosomatik entgegen. Die Schnittmenge sei die ganzheitliche Betrachtung des Menschen.

Zusammenarbeit mit Palliaviva

Im Pflegeheim gibt es Situationen, in denen Annette Ciurea das Palliaviva-Team hinzuzieht. Das ist etwa der Fall, wenn eine Bewohnerin oder ein Bewohner mit Krebs an einer komplexen Schmerzsymptomatik leidet und die Ärztin eine Schmerzpumpe verordnet. In Notfällen und zum Auffüllen der Pumpe können die Mitarbeitenden von Palliaviva eingesetzt werden. Annette Ciurea stellt fest: «Wenn jemand in der Sterbephase ist, lohnt es sich häufig, spezialisierte Palliative-Care-Teams zu involvieren.» Sie spüre dann oft Erleichterung bei den Pflegenden des Heimes, was die ganze Situation entspanne.

Annette Ciurea mit Charlotte Bleiker in der Tägerhalde.

Besprechung mit Charlotte Bleiker, einer Mitarbeiterin der Tägerhalde.

Noch ist diese Form der Zusammenarbeit zwischen Langzeitinstitutionen und dem mobilen spezialisierten Palliative-Care-Dienst Palliaviva eine Seltenheit. Im Rahmen der neuen Palliative-Care-Strategie des Kantons Zürich, die auch eine einheitlich geregelte Finanzierung vorsieht, soll sie zur Regel werden. Annette Ciurea sieht einen klaren Bedarf für mehr Palliative Care in Pflegeheimen. Das Alters- und Gesundheitszentrum Tägerhalde in Küsnacht ist für sie diesbezüglich sehr offen. «Es geht nicht nur um Symptomlinderung oder ‹Total Pain›, sondern auch um vorausschauende Planung. Dazu gehören Patientenverfügungen oder Notfallpläne für den Fall einer Urteilsunfähigkeit.»

Begleitung bis zuletzt

Annette Ciurea wird in der Tägerhalde von Bridget Asante, einer der Advanced Practice Nurses aus dem Age-Medical-Team, unterstützt. Bridget Asante führt in Absprache mit der Ärztin beispielsweise Aufnahmegespräche mit neuen Patientinnen und Patienten, die künftig von Age Medical betreut werden.

Die Palliativmedizinerin besucht an diesem Vormittag noch einige weitere Bewohnende des Pflegeheims. Vorher spricht sie sich jeweils im Stationszimmer mit den im Heim angestellten Pflegefachpersonen ab. Ihre Visite führt sie zu einer betagten Frau, die gerade an Covid erkrankt ist. Die Frau sitzt angekleidet auf einem bequemen Stuhl neben dem Bett, auf dem Nachttischchen liegen Klatschmagazine. «Ich dachte schon, ich würde jetzt dann verreisen», sagt die Patientin vieldeutig. «Was man nicht alles erlebt! ‹Cheibe Züüg›!»

Die Ärztin fragt die Frau, die auf dem Sitzplatz draussen ihre private kleine Raucherecke mit Aschenbecher hat, wie die Zigaretten denn schmeckten. «Sonst sind sie besser», erwidert die alte Dame. Annette Ciurea spricht noch eine Weile mit der Patientin, die vergesslich und sturzgefährdet ist. Dann sagt sie zu ihr, leider könne auch sie die Situation nicht von Grund auf verändern. «Aber ich kann Sie begleiten. Wir stehen zusammen.»

Endgültige Situation

Die Ärztin wechselt am Montag und Mittwoch jeweils am Mittag von der Tägerhalde in die Klinik Hirslanden in Zürich. Hier pflegt das Age-Medical-Team eine fixe Zusammenarbeit mit den Ärztinnen und Ärzten der Inneren Medizin, der Onkologie und der Neurologie. Häufig geht es um Austrittsplanungen, bei denen manchmal, wenn die Patientinnen oder Patienten im Kanton wohnhaft sind, auch Palliaviva einbezogen wird.

Annette Ciurea besucht an diesem Tag in der Klinik Hirslanden einen etwa 40-jährigen Mann, der an einem unheilbaren Krebs erkrankt ist. Er weiss, dass er «austherapiert» ist, es bleibt nur noch der palliative Weg: Lebensqualität erhalten, Schmerzen und andere Symptome lindern, eine gute letzte Zeit und einen guten Abschied ermöglichen. Der Mann wirkt trotz der brutalen Perspektive einigermassen gefasst. Die Ärztin sitzt auf dem Stuhl neben seinem Bett und schluckt leer. «Kann ich irgendetwas für Sie tun?», fragt sie offen. Er verneint. Für die kommenden Tage ist der Austritt in eine Palliativstation in einer anderen Klinik geplant.

Emotionen zulassen

Nach dem Besuch im Spitalzimmer, auf dem Spitalkorridor, erklärt Annette Ciurea, sie lasse Emotionen zu, und sie sei durchlässig. «Was ich sehe, tut manchmal weh.» Die 56-jährige Ärztin räumt ein, auch mit viel Erfahrung habe sie mitunter Mühe, sich abzugrenzen. «Ich muss mich immer wieder neu finden und mache sehr viel Supervision.»

Zur ärztlichen Kunst gehört für sie, zuzuhören und zu versuchen, das Gegenüber zu verstehen. Sie sagt, sie lerne sehr viel in ihrem Alltag: «Sich berühren zu lassen, heisst auch, sich lebendig zu fühlen.» Zu dieser Einstellung passt, dass sie für den Vortrag damals aus ihrer persönlichen Geschichte schöpfte und von der eigenen Oma erzählte.

Ihre Grossmutter ist im Jahr 2000 im Alter von 83 Jahren gestorben. Für Annette Ciurea ist sie über den Tod hinaus eine wichtige Bezugsperson geblieben.

Palliative Geriatrie ist auch für das Team von Palliaviva ein wichtiges Thema. Soeben absolvierten die beiden Palliaviva-Pflegefachfrauen Livia de Toffol und Heike Hess eine entsprechende Weiterbildung: Der Interprofessionelle Lehrgang Palliative Care der Fachgesellschaft Palliative Geriatrie, kurz FGPG, verknüpft Praxis und Wissenschaft.

Heike Hess und Livia de Toffol gehen in ihrer schriftlichen Projektarbeit zum Abschluss des Lehrgangs auf die spezifischen Anforderungen an die mobile spezialisierte Palliative Care im Zusammenhang mit hochaltrigen Menschen ein.

Die FGPG ist eine internationale Fachgesellschaft, in der vor allem Deutschland, Österreich und die Schweiz vertreten sind.

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