Der letzte Eindruck zählt

06.09.18

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«Palliative Care endet nicht mit dem Tod.» Pflegefachfrauen des Winterthurer, des Tösstalers, des Stadtzürcher und des Onko-Plus-Teams und Christoph Schürch, Leiter des mobilen Palliative Care Teams Winterthur MPCT (Bild: sa).

Heute haben sich Vertreterinnen verschiedener mobiler Palliative-Care-Teams gemeinsam weitergebildet. Christoph Schürch, Leiter des Winterthurer Teams, Palliativpflegefachmann und Bestatter, sprach über die Aufgaben der spezialisierten Pflegenden nach dem Versterben.

Ist der Patient verstorben, benötigen Angehörige Zeit, Raum, Ruhe und jemanden, der mit ihnen spricht, der sie unterstützt und informiert. Nicht zu hetzen und sich genug Zeit für den Abschied zu nehmen, sei enorm wichtig, sagte Christoph Schürch. «Für viele beginnt eine neue Zeitrechnung.» Zwölf Frauen sind am Donnerstag zur gemeinsamen Weiterbildung nach Winterthur gekommen. Es war die dritte ihm Rahmen des SPaC-Verbands, zuvor wurden die Symptome Delir und Schmerzen behandelt. In SPaC sind die fünf spezialisierten mobilen Palliative-Care-Leistungserbringer zusammengeschlossen. Schürch hat neben seiner Ausbildung zum Palliative-Care-Pflegefachmann auch eine Ausbildung als Bestatter absolviert. Er machte in seinen Ausführungen deutlich, dass «Palliative Care nicht mit dem Tod endet».

«Friedlich, entspannt, wie ein Engel.»

Ein zentrales Ziel einer würdevollen Pflege und Betreuung nach dem Tod sei , den Angehörigen zu vermitteln, dass Abschiednehmen für den Trauerprozess enorm wichtig ist. Wenn er dann höre «Ich habe mein Mami gestern ja noch gesehen», ermahne er die erwachsenen Kinder dennoch, sich die verstorbene Mutter in Ruhe noch einmal anzusehen. Denn gestern habe diese vielleicht noch unter Atemnot gelitten, heute sehe sie aber «friedlich» aus, das höre er von den allermeisten, auch «entspannt» oder «wie ein Engel».

«Der letzte Eindruck zählt.» Deshalb werden die Verstorbenen auch sorgfältig, pietätvoll und schön hergerichtet, gewaschen und eingekleidet, so wie sie sich selbst gefallen hätten, kaum mehr in einem Totenhemd. «Die Aufbahrung zu Hause ist dazu am Geeignetsten», ist Schürchs Überzeugung. Denn einige Aufbahrungshallen können nicht rund um die Uhr besucht werden. In anderen ist die tote Person nur durch eine Scheibe zu sehen. Die Angehörigen werden in die Pflege einbezogen, sofern sie dazu bereit sind. Die anwesenden Palliativ-Pflegefachfrauen berichteten von einer zuerst traurigen, vielleicht ängstlichen Stimmung im Umgang mit dem Toten, die aber häufig dann auch in eine fröhliche oder feierliche Atmosphäre kippen könne Brigitte Trechsel, Schürchs Stellvertreterin, erzählte von einer Familie, in der am Schluss sogar die Enkel beim Waschen und Anziehen halfen. Sie haben das Ganze nur noch beaufsichtigen und jedem eine Aufgabe zuweisen müssen.

Von Kieferstützen und plötzlich entweichender Luft

Vom Bestattungsfachmann gab es zudem ganz konkrete Tipps: Um den Mund zu schliessen, sollte eine Pflegefachperson Kieferstützen verwenden und – auch wenn die Totenstarre eingetreten ist – nicht wieder abnehmen, denn danach könnte der Mund wieder aufklappen. Dazu dürfe diese nie eine Kopfbandage brauchen, denn sie hinterlasse unschöne Abdrücke auf der Haut. Augen sollten mit feuchten Tupfern geschlossen, und diese danach wieder entfernt werden. Die Angehörigen müsse man vorwarnen, dass der verstorbenen Person beim Umlagern noch Luft entweichen könne. Die Totenstarre, die nach ein bis zwei Stunden beginnt, jedoch erst nach acht Stunden ausgeprägt ist, könne durch Dehnen sowie Hin- und Herbewegen der Arme gelöst werden, etwa um ein Hemd oder eine Bluse anzuziehen. Zahnprotesten sollten unbedingt eingesetzt werden, sonst sieht das Gesicht verändert aus. Mit dem Rasieren könne man noch zuwarten, weil die Haare noch ein bisschen wachsen könnten. Überhaupt sei der Körper nicht von der einen Sekunde auf die andere tot, führte Schürch aus. Die Darmzellen würden erst nach 24 Stunden absterben, deshalb sei es auch möglich, dass ein Verstorbener noch ausscheide. Also sollten in jedem Fall Inkontinenzprodukte verwendet werden.

Informationen, wie es jetzt weitergeht und was sie zu tun haben, brauchen die Angehörigen aber auch. Denn sie befinden sich in einer emotionalen Ausnahmesituation. Eine Ärztin oder ein Arzt muss einen Totenschein ausstellen, das kann der Hausarzt sein oder am Wochenende auch ein SOS-Arzt. Mit diesem Formular müssen die Angehörigen den Tod spätestens 48 Stunden danach auf dem Bestattungs- oder Zivilstandsamt melden. Sie brauchen dazu neben dem Totenschein das Familienbüchlein oder den Ausweis des Verstorbenen. Meistens muss man sich voranmelden. Viele Gemeinden stellen online Merkblätter zur Verfügung.

Schürch findet, dass es zur Aufgabe der Palliative Care gehört, die Familien auch über Bestattungsmöglichkeiten (Urnengrab, Erdbestattung, Gemeinschaftsgrab etc.) zu informieren – nicht schlecht ist es sicherlich, das Thema zu platzieren, denn im Amt muss die Wahl angegeben werden. In der Schweiz herrscht kein Friedhofszwang, das heisst die Asche einer verstorbenen Person kann auch nach Hause genommen und im Wald – es gibt zum Beispiel den Friedwald – oder in einem See beigesetzt werden. Bezüglich des Trends, sich im Gemeinschaftsgrab oder in der freien Natur bestatten zu lassen, gab Christoph Schürch zu bedenken, dass viele Hinterbliebene einen Ort zum Trauern benötigen.

«Spricht man mit muslimischen Angehörigen oder Schwerkranken darüber, was sie nach ihrem Tod wünschen, wissen sie meist sehr genau Bescheid, was wie funktioniert.»
Christoph Schürch

Betreut das Palliativteam Menschen, die einer fremden Religion angehören, etwa Muslime, gelte es vorher zu klären, was man als Fachperson nach dem Versterben tun dürfe und was nicht. Bei streng religiösen Muslimen darf zum Beispiel kein Nicht-Muslim den Leichnam berühren. Einige wollen in ihrer alten Heimat bestattet und müssen so schnell als möglich dorthin transportiert werden. «Spricht man mit muslimischen Angehörigen oder Schwerkranken darüber, was sie nach ihrem Tod wünschen, wissen sie meist sehr genau Bescheid, was wie funktioniert.» Spannend sei es für ihn immer wieder, Rituale aus anderen Religionen kennenzulernen. Zum Beispiel legten einige Muslime den Verstorbenen einen Löffel auf den Bauch oder der Imam binde dessen Zehen mit einem roten Band zusammen.

Christoph Schürch plädierte dafür, viel Hingabe und Sorgfalt in die allerletzte Pflicht als Palliativteam zu investieren. Diese zwei Stunden blieben bei den Angehörigen meist in tiefer Erinnerung. «Viele sagen, die Unterstützung nach dem Tod habe ihnen sehr gut getan.»

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