Immer unter Strom
22.08.18
Onko-Plus-Stiftungsrat Andreas Trojan ist als Onkologe einerseits dem Wohl seiner Patientinnen und Patienten verpflichtet. Andererseits engagiert sich der Titularprofessor auch in Lehre und Forschung, weil er die medizinische Versorgung trotz knapper Ressourcen längerfristig verbessern will. Zum Beispiel mit einer App.
Zum Interview kommt er eine Viertelstunde zu spät. Dann beantwortet er, verschwitzt vom Velofahren, auf dem Korridor noch die Frage einer Patientin. Sie ist zur Chemotherapie ins Onkozentrum in Zürich-Wollishofen gekommen. Die morgendliche Visite in der Klinik habe länger gedauert, entschuldigt sich Trojan schliesslich, hinter seinem massiven Holztisch sitzend. Eine der Patientinnen, die er als Belegarzt in der Klinik Hirslanden betreut, sei nicht gut zwäg. Er habe sie wegen seiner Ferien drei Wochen nicht gesehen und deshalb seien mehr Gespräche nötig gewesen. Die stationären Patientinnen besucht er morgens vor 8 Uhr oder abends nach 18 Uhr.
Trojan pendelt zwischen Brustzentrum, Onkozentrum, den Kliniken Hirslanden und Im Park, der Universität Zürich – er ist dort Titularprofessor – und der ETH. An beiden Hochschulen betreut er innovative Forschungsprojekte, einmal geht es um Versorgungsforschung, einmal um «modulare Prothesen». Über Mittag oder gegen Abend seien Angehörigengespräche geplant. «So geht das, tagein, tagaus, relativ zügig durch den Tag.»
«Auch das Leben meiner Patientinnen besteht – zum Glück – nicht nur aus Sorge um die Krankheit.»
Andreas Trojan ist ein Vollblut-Arzt, dem das Wohl seiner Patientinnen und Patienten am Herzen liegt. Er ist temperamentvoll, spricht schnell, braucht dazu die Hände, beendet seine Sätze häufig nicht. Er ist ein visionärer Geist, der über das gesamte Gesundheitssystem und dessen Entwicklung in den nächsten Jahren nachdenkt. Er ist einer, der sich kaum eine Pause gönnt. Mittagessen gibt’s nie für ihn.
Der 53-jährige Onkologe, der seit zehn Jahren Stiftungsrat von Onko Plus ist, betreut mehrheitlich Patientinnen mit Brust- und Patienten mit Prostatakrebs. Er kümmert sich also vor allem um hormonabhängige Tumore. Obwohl bei ihm im Büro der Bestseller «Der König aller Krankheiten» des amerikanischen Arztes und Forschers Siddharta Mukherjee im Bücherregal steht, sei er keiner der Onkologen, die den Krebs insgeheim bewundern. Nein, er sei von seinen Patientinnen und Patienten angetan und ihnen zugewandt, beteuert er. Er erzähle zu Hause auch nicht von der Krankheit, sondern von Erlebnissen mit Patienten, Anekdoten. «Auch deren Leben besteht – zum Glück – nicht nur aus Sorge um die Krankheit.»
Smartphone ersetzt Doktor?
Andreas Trojan ist auch Forscher, er will dazu beitragen, dass die Versorgung der Krebspatientinnen und -patienten trotz der drohenden Unterversorgung gut bleibt. Die Menschen werden immer älter, es gibt zu wenig medizinisches Personal. Seit kurzem gönnt er sich einen Tag pro Woche, an dem er keine Patienten sieht, sondern ganz der Forschung zur Verfügung steht. Sein Herzblut stecke er momentan in eine Applikation, wie er erklärt. Mit deren Hilfe können onkologische Patientinnen und Patienten, die sich in verschiedenen Stadien befinden, ihre Symptome auf ihrem Smartphone festhalten. Ihre Daten werden mit Zahlen von Betroffenen verglichen, die sich in einer ähnlichen Phase befinden. Ein Algorithmus warnt, wenn jemand aus einem Muster ausschert. Der Patientin wird in einem solchen Fall geraten, ihren Arzt zu kontaktieren.
Nun muss man aber keine Bedenken haben, dass Ärzte durch Geräte ersetzt werden. Sie hätten nämlich in ihrer gross angelegten Studie, an der ein paar Hundert Patientinnen und Patienten teilnehmen, bereits zeigen können, dass die App ohne Doktor nicht funktioniert, erklärt Trojan. Die Studienteilnehmerinnen ohne Betreuung hätten unsicher reagiert und häufig grosse Mengen von Daten eingegeben. Können die Patientinnen ihre Eingaben regelmässig mit ihrem Arzt besprechen, sei das Resultat am besten. Man könne kurz Rückschau halten und Ereignisse diskutieren. «Der Gewinn ist das gesteigerte Wohlbefinden der Patienten und die Vermeidung von Notfällen.»
Nun soll die Applikation auch am Kinderspital Zürich mit Kindern und Jugendlichen, die an Leukämie erkrankt sind, sowie ihren Familien getestet werden. Ebenfalls mit im Boot ist die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für klinische Krebsforschung (SAKK). Das Ziel des Forschungsteams, das Andreas Trojan leitet, ist eine grosse Datenbank über sogenannte Patient Reported Outcomes (Proms) zu erstellen und zu bewirtschaften.
«Eine Mischung aus Pflichtgefühl und dem Drang, etwas zu bewirken, begründet meinen Forschungsdrang.»
Trojan ist eigentlich keiner, der mit der digitalen Welt viel am Hut hatte. Schuld an seinem Interesse seien seine Töchter, die heute 11 und 15 Jahre alt sind, sagt er. Er müsse sich endlich ein anständiges Handy kaufen, meinten sie eines Tages. «Plötzlich hatte ich ein Smartphone mit einem riesigen Bildschirm.» Um seine Verwunderung zu illustrieren, dreht er sein Mobiltelefon in der Hand hin und her. Durch Glück und Kontakte, die er noch an der Universität Zürich hatte, ergab sich das aktuelle Forschungsprojekt.
Trojans ältere Tochter will später Biomedizin studieren. Während ihres Studiums soll sie für sein Projekt arbeiten, wünscht er sich. Sie soll am Kispi den Eltern den Nutzen der App erklären.
Andreas Trojan hat das Forscher-Gen: Forschung sei oft frustrierend, aber manchmal eben auch reizvoll. Weshalb er neben seiner zeit- und energieintensiven Arbeit mit den Patientinnen und Patienten auch noch Neues entwickeln will, begründet er mit «einer Mischung aus Pflichtgefühl und dem Drang, etwas zu bewirken im Leben». Er wäre zwar gerne in der Grundlagenforschung geblieben, sagt er. «Aber ehrlich gesagt, ist der Zug so über mich hinweggebraust, dass ich den Anschluss total verloren habe.»
Wo verläuft Grenze zwischen kurativ und palliativ?
Andreas Trojan betreut hauptsächlich Brustkrebs-Patientinnen. Deshalb sehe er relativ viele Frauen, die «nicht in den ganz schweren Endstadien sind». Das scheint ihm nicht unrecht zu sein. «Diese Frauen brauchen Begleitung in einer gewissen Lebensphase, dann können sie sich wieder davon lösen und das Thema zur Seite legen.» Er begleite aber auch Patientinnen, deren Krebs nicht geheilt werden kann. Am folgenden Tag besuche er eine Beerdigung eines Patienten und Freundes, von dem er bereits verschiedene Familienmitglieder bis zum Tod begleitet hat. «Langsam liegt mir diese Familie ziemlich am Herzen, das muss ich ehrlich sagen», sagt er und lächelt gequält. Im Allgemeinen gelinge es ihm heute besser als früher, die emotionale von der medizinischen Welt zu trennen. «Früher litt ich regelrecht. Das war nicht immer hilfreich.»
Ist jemand unheilbar erkrankt, braucht Andreas Trojan im Gespräch viel Fingerspitzengefühl. Kann er Klartext sprechen? Er halte nichts von der «Schocktherapie», in der er dem Gegenüber eine hoffnungslose Diagnose ins Gesicht schmettere, sagt er. Sondern er versuche, das Gegenüber anzuregen, damit dieser die kurative Behandlung irgendwann selbst zurückschrauben will. «Ich will auf keinen Fall ungerechtfertigte Hoffnungen schüren. Chemotherapien bis zum Ende machen häufig wenig Sinn.»
«Weder das Ego des Arztes noch der absolute Glaube in die Medizin sollten die Behandlung bestimmen.»
Wo sich die Grenze zwischen kurativer und palliativer Behandlung befindet, liege oftmals nicht in der Hand der Ärzte, sondern zunehmend in der Hand der Betroffenen, sagt Trojan. «Weder das Ego des Arztes noch der absolute Glaube in die Medizin sollten die Behandlung bestimmen.» Er respektiere die Selbstbestimmung seiner Patientinnen und seiner Patienten.
Auf Wunsch besuche er seine Patienten auch zu Hause, wenn sie dort sterben wollen. Er sei zwar kein Schmerzspezialist, aber manchmal sei eine Art Abschlussgespräch mit ihm als Onkologe nötig, manchmal könne man auch gemeinsam nach einer neuen Strategie suchen. Diese Besuche macht er meist am Wochenende oder abends, wenn er ohnehin mit dem Velo durch die Stadt nach Hause fährt.
«Ich bin heute vorsichtig mit Textbuchwahrheiten, die besagen, dieses Medikament wirkt am besten bei dieser Krankheit.»
Als Herausforderung in der Betreuung von Menschen mit Krebs sieht Andreas Trojan die neuen Behandlungsmethoden, die Medikamente, die sehr variabel eingesetzt werden können. Just am Abend zuvor habe er sich mit der Masterarbeit einer Studentin beschäftigt, in der es darum ging, dass manche Medikamente bei einem Sarkom, einem bösartigen Tumor in den Weichteilen, genauso gut funktionieren wie gegen Brustkrebs. Sie hätten dies aus Zufall entdeckt, erzählt Trojan, weil eine seiner Patientinnen sowohl Brustkrebs als auch ein Sarkom hatte. Diese «Entdeckungsreisen» seien die Zukunft der Krebsbehandlung. Dies den Patientinnen und Patienten angemessen und verständlich zu vermitteln und sie zu begleiten, sei nicht einfach. «Ich bin heute vorsichtig mit Textbuchwahrheiten, die besagen, dieses Medikament wirkt am besten bei dieser Krankheit, und die neuen Algorithmen sind oftmals noch gar nicht gut beschrieben.»
Braucht er keinen Ausgleich zum Stressjob? Nein, sagt er und zuckt mit den Schultern. Wenn, dann finde er Entspannung mit der Familie. Ausser ein paar Mal Joggen, Ski fahren oder Tennis spielen brauche er ohnehin nicht viel. Von mehrtätigen Bergtouren, um den Kopf auszulüften, wie das andere Ärzte tun, hält er nicht viel. «Meist wird man dann ja eh vom schlechten Wetter überrascht.» Er steht fast immer unter Strom, aber das ist für ihn normal.