«Lasst euch von der Medizin nicht überrumpeln!»

30.05.18

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«Frau H., waren Sie wirklich in Hongkong?» Ursula H. ist manchmal gerne unvernünftig, trotz schwerer Krankheit (Bild: sa).

Ursula H. hat eine schlechte Prognose: Sie leidet an einem fortgeschrittenen Bauchspeicheldrüsenkrebs. Die Kämpferin geniesst ihr Leben trotzdem, jetzt erst recht.

«Der 21. November 2017 war mein D-Day», sagt Ursula H. in breitem Berndeutsch. Sie hat Kaffee serviert, drängt einen, die leckeren Haferkekse doch zu probieren. Sie ist quirlig, spricht viel, ihre Aussagen sind prägnant. Am besagten Tag erhielt sie die Diagnose «Bauchspeicheldrüsenkrebs in einem fortgeschrittenen Stadium». Ableger davon haben bereits ihre Lunge und ihren Darm befallen. Wie lange sie noch lebe, fragte sie den Onkologen direkt. Noch sechs bis acht Monate, sagte dieser. «Es war, als würde ich mit 100 Kilometern pro Stunde gegen eine Wand fahren.»

Ihre Gefühle waren widersprüchlich. Denn gleichzeitig sei sie irgendwie erleichtert gewesen, dass die Ärzte «endlich etwas gefunden» hatten. Seit Jahren ging es mit ihrer Gesundheit stetig bergab, sie wurde schwächer und schwächer, musste sich beim Spazieren plötzlich auf eine Bank setzen, obwohl sie immer sportlich und schlank gewesen war. Verdauungsbeschwerden kamen dazu, vor einem Jahr dann starke Bauchschmerzen. «Mein Hausarzt reagierte vermutlich lange Zeit nicht, weil ich immer kerngesund aussah.» Nach der Untersuchung mit Ultraschall und einer Magenspiegelung fiel dann die gravierende Diagnose.

«Onko Plus ist eine tolle Sache, die sehr hilfreich ist.»

Sie sieht auch heute gesund aus, schlank, ihre Haut ist rosig. Kaum vorstellbar, dass sie laut den Ärzten nur noch ein paar Monate zu leben hat. Ausserdem war ihr Körper bereits massiven Strapazen ausgesetzt: Im Rahmen ihrer Krebserkrankung entzündete sich eine tumoröse Zyste am Eierstock und wuchs zur Grösse einer Grapefruit an, sie musste schliesslich operativ entfernt werden. Bei diesem Eingriff wurde auch klar, dass ihr Pankreaskarzinom nicht mehr operabel ist. «Ich stand mit eineinhalb Beinen im Grab.»

Die Schmerzen, die sie danach erlitt, waren ganz schlimm gewesen. Helfen konnte ihr Schmerzspezialistin und Palliativmedizinerin Monika Jaquenod, die auch für Onko Plus arbeitet und den spezialisierten ambulanten Pflegedienst involvierte, als die Patientin aus dem Spital nach Hause entlassen wurde. Für Onko Plus und seine Mitarbeitenden ist H. des Lobes voll. «Das ist eine ganz tolle Sache, die sehr hilfreich ist.»

Die Entscheidung

Während sie sich noch von der Operation erholte, musste sie sich überlegen, ob sie eine neue Chemotherapie antreten will: Ihr Onkologe meinste, er müsse nun mit der «schweren Artillerie» auffahren, und zählte ihr alle Nebenwirkungen auf, welche diese Behandlung mit sich bringt. Was er ihr nicht sagen konnte, war, ob diese Chemo ihr Leben verlängern würde.

Chemo machen oder nicht? Ursula H. rang eine Woche lang mit dieser Entscheidung, besprach sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern. Sie diskutierte sie auch mit dem Psychiater, den sie seit Kurzem konsultiert und sie besprach sie auch mit den Mitarbeitenden von Onko Plus. Neben den fehlenden Erfolgsaussichten sprach auch dagegen, dass ihr die erste Chemotherapie nicht geholfen hatte. Während dieser fühlte sie sich wie während einer «vier Monate dauernden Grippe». Oder um es mit einem ihrer markigen Sprüche zu sagen: «Die Therapie ging nicht spurlos an mir vorüber – am Krebs hingegen schon.»

«Ich akzeptiere, was ist.»

Unterschreibt sie ihr Todesurteil, wenn sie sich gegen die Chemo entscheidet? Sie lag nachts wach, hatte Angst, Panikattacken. Schliesslich musste sie sich eingestehen, dass ihre Angst vor dem Tod gleich gross ist wie die vor der Chemo. Die Erkenntnis, dass sie ihr Leben noch geniessen will, obsiegte – und sie sagte die Chemotherapie ab. «Das klingt so einfach, aber dieser Entscheid hat viel Mut gebraucht.»

Jetzt, ein paar Wochen nach diesem Entschluss, geht es ihr besser. «Ich bin mit mir in Frieden, ich akzeptiere, was ist.» Und sie versucht ihr Leben zu geniessen, auch wenn ihre Tagesform schwankt. Sie geht mit ihrer Tochter shoppen, in ihrer Handtasche immer die Opioid-Tabletten, wenn der höllische Tumorschmerz sich meldet. Am Abend nach unserem Gespräch kommt ihr Sohn zu Besuch, der Pilot ist und in Hongkong lebt.

36 Stunden Australien

Kürzlich, es war noch während der ersten Chemo, flog sie sogar für ein paar Tage nach Honkong. Von dort aus begleitete sie ihren Sohn nach Australien und zurück, für nur 36 Stunden. «Ich habe göttlich geschlafen im Flugzeug.» Ihr Sohn habe ihr ein Erstklassticket besorgt. Bei der Chemo habe es dann geheissen: «Frau H., waren Sie wirklich in Hongkong?» Ursula H. kichert. Wenn die wüssten, dache sie.

Sie möchte anderen Menschen, die an einer unheilbaren Krankheit leiden, zurufen: «Überlegt euch, wie ihr leben wollt! Lasst euch nicht von der Medizin überrumpeln!»

Wie Ursula H. (Jg. 1954) aufwuchs, was sie geprägt hat, ist in einem späteren Blogbeitrag zu lesen.

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