Danielas Sicherheitsnetz
16.08.22
Von oben links im Uhrzeigersinn: Carina Mihai, Heidi Pante, Simone Stickel, Florence Häcki, Eveline Häberli und Euginia Agyeman. Im Kreis: Daniela Kurjacki (Bilder: zVg).
Daniela Kurjacki (45) lebt mit einer schweren Krankheit, die sich allmählich verschlechtert. Rund um sie spannt sich wie bei vielen kranken Menschen ein richtiges Netz an Unterstützerinnen. Es besteht aus Familie und Freundinnen, aber auch aus Therapeutinnen, Ärztinnen und Pflegenden. Eine Auswahl.
Die Tochter: Euginia Agyeman (20)
«Daniela hat mich adoptiert, als ich zwei Jahre alt war. Meine leibliche Mutter ist an Krebs gestorben und war Danielas beste Freundin. Als Daniela vor 13 Jahren die Diagnose bekam, dachten wir, dass sie in den nächsten zwei Jahren stirbt. Jetzt lebt sie immer noch. Deshalb finde ich einerseits, dass Ärzte besser keine Prognose abgeben sollten. Andererseits reden wir in unserer Familie deshalb auch offen übers Sterben. Es ist ein wichtiges Thema, mit dem wir uns alle beschäftigen sollten. Die gesunden Menschen denken halt, dass sie noch genug Zeit haben.
Ich habe die Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit gemacht. Vielleicht habe ich diesen Beruf unbewusst gewählt, nachdem ich in meiner Kindheit häufig mit dem Thema Krankheit konfrontiert war. Heute begleite ich meine Mutter oft ins Spital, und wir reden viel miteinander. Nach einem Job im Akutspital suche ich nun etwas in einer Praxis. Ich möchte nicht schon ausbrennen, sondern will auch meinem Umfeld – vor allem meinem Mami –positive Energie geben können. Ich hoffe, dass sie noch das machen kann, was sie sich wünscht. Sie soll ihre Bedürfnisse in den Vordergrund stellen.»
Die Freundin: Heidi Pante (50)
«Ich kenne Daniela seit 15 Jahren, als wir uns beide im Elternrat engagiert haben. Sie hat mich bei meinem Projekt unterstützt, ich sie bei ihrem. Unsere Töchter sind im gleichen Alter. Allmählich wuchs auch unsere Freundschaft. Dass Daniela schwerkrank ist, erscheint mir oft surreal. Ich kenne kaum einen positiveren und lebensfroheren Menschen. Sie gibt einem stets viel zurück. Hätte sie den Sauerstoff-Schlauch nicht, würde man ihr die Krankheit nicht anmerken. Sie beschwert sich nie. Ihre Krankheit ist zwar Thema, steht aber nie im Vordergrund.
Ich wünsche ihr, dass sie ihr Leben noch lange geniessen und selbst in die Hand nehmen kann. Denn ich finde, dass sie eine Inspiration für viele Menschen ist.» Heidi Pante, Freundin
Sie hat immer verrückte Pläne, will es allen beweisen, und ich helfe ihr, die Möglichkeiten auszuloten. Ich habe sie 2018 auch auf ihrer Pilgerreise begleitet. Alles war von A bis Z durchorganisiert. Das war eine sehr emotionale Woche mit schönen Momenten. Momentan denkt sie über eine Reise mit einem Camping-Bus nach. Das Problem sind die Sauerstoff-Tanks, die nicht ewig halten und zudem hochexplosiv sind.
Ich stehe ihr in Krisen bei, auch wenn sie mal einen «Brüeli-Tag» hat. Ich kann in Notfällen schnell reagieren, weil ich ein Auto habe und am Arbeitsplatz flexibel bin. Ich wünsche ihr, dass sie ihr Leben noch lange geniessen und selbst in die Hand nehmen kann. Denn ich finde, dass sie eine Inspiration für viele Menschen ist.»
Die Palliativpflegende: Eveline Häberli (41)
«Ich bin Frau Kurjacki zum ersten Mal im Oktober 2021 in ihrer Wohnung begegnet mit dem Auftrag, für Palliaviva ein Erstgespräch durchzuführen. Das hatte die Patientin selber aufgegleist. Denn sie ist sich bewusst und spricht auch offen darüber, dass ihr Leben jederzeit enden könnte. Deswegen wollte sie ein Netzwerk für sich und ihre Familie einfädeln.
Ich unterstütze sie, indem ich ihr als Mensch in ihrem Zuhause begegne und zuhöre. Dabei versuche ich als diplomierte Pflegefachfrau ihre körperlichen Symptome, Bedürfnisse, Bedenken, Ängste und Wünsche einzufangen, um sie und ihre ganze Familie bestmöglich unterstützen zu können.
Ich gebe ihr sowie ihren Kindern die Sicherheit, dass wir als Organisation rund um die Uhr für Fragen telefonisch erreichbar sind. Wir kennen uns gut mit Symptomlinderung und Krisensituationen aus, sodass wir auch jederzeit vorbeikommen können, wenn es uns braucht.
Der Tod macht das Leben kostbar. Diese Überzeugung lebt sie in voller Intensität.» Eveline Häberli, Palliativpflegefachfrau
Frau Kurjacki ist sehr autonom, bodenständig und gut eingebettet. Wir waren erst einmal im Einsatz.
Ich erlebte sie mit ihrer Krankheit und den damit verbundenen starken Limitierungen im Alltag dennoch als direkt, kraftvoll, durchdacht, lebhaft, herzlich und vorausschauend. Der Tod macht das Leben kostbar. Diese Überzeugung lebt sie in voller Intensität vor und beeindruckt mich sehr damit.
Ich wünsche ihr, dass sie noch viele wichtige Momente mit ihren Liebsten erleben darf, dass sie realistisch, glücklich und zufrieden bleibt, dass sie sich bewusst ist, dass ihr Umgang mit einer unheilbaren Krankheit inspiriert und Mut macht.
Ich hoffe, dass sie den Tod als Teil des Lebens anerkennen kann, der sie als Freund auf ihrem Weg begleiten wird – vielleicht weniger lebhaft – dafür mystisch, ruhig, sicher und entspannt.»
Die Physiotherapeutin: Florence Häcki (44)
«Daniela kam vor zehn Jahren in meine ambulante pulmonale Rehabilitation. Ich biete lungenkranken Patientinnen und Patienten Kraft- und Ausdauertraining an, angepasst an ihren körperlichen Zustand, bei dem ihre Sauerstoffsättigung ständig unter Kontrolle und notfalls schnell ein Arzt vor Ort ist. Ich habe mich bewusst in ein normales Fitness-Center eingemietet. Die Gesunden und Kranken sollen sich mischen, finde ich. Daniela ist so aufgestellt, strahlt viel Lebensfreude aus und hat sich sofort gut in die Reha-Gruppe integriert, obwohl sie deutlich jünger ist als der Rest.
Auch wenn Daniela wegen der Pandemie momentan nicht mehr ins Training kommt, ist die ganze Gruppe sehr mit ihr verbunden. Man sitzt im gleichen Boot. An Weihnachten haben wir ihr eine Video-Botschaft geschickt. Wir möchten sie nicht bedrängen, ihr aber signalisieren, dass wir an sie denken. Zum Dank hat sie der Reha-Gruppe Schokolade zukommen lassen. Daniela ist eine Frau, die mit vollen Händen gibt, links und rechts. Ich würde mir wünschen, dass alle Menschen etwas mehr Daniela in sich hätten, ihren Optimismus und den Blick für die kleinen Freuden.»
Die Spezialistin: Carina Mihai (51)
«Ich bin Rheumatologin und spezialisiert auf systemische Sklerose (Sklerodermie). Das ist eine systemische Autoimmunerkrankung, bei der sich der Körper gegen seine eigenen Strukturen sträubt. Bei Frau Kurjacki war bisher vor allem die Lunge betroffen. Sie ist bei uns schon länger in Behandlung, kennengelernt habe ich sie vor vier Jahren. Damals war sie bereits sauerstoffbedürftig. Ich weiss, dass man von ärztlicher Seite schon mehrmals mit ihr über eine Lungentransplantation gesprochen hat. Ich habe die Option 2021 nochmals mit ihr ausgelotet. Frau Kurjacki ist jedoch nur schon skeptisch, was die Einnahme vieler Medikamente betrifft. Und eine Transplantation wäre ein sehr grosser chirurgischer Eingriff, bei dem danach das Infektionsrisiko erhöht ist und viele Medikamente nötig sind.
Es ist erstaunlich, was Daniela Kurjacki trotz ihrer schweren Krankheit alles zustande gebracht hat.» Carina Mihai, Rheumatologin
Ich akzeptiere Frau Kurjackis Entscheidung gegen eine Transplantation. Sie hat diese nicht rücksichtslos getroffen, sondern auch an ihre Kinder gedacht. Sie muss mit den Konsequenzen leben.
Es ist erstaunlich, was sie trotz ihrer schweren Krankheit alles zustande gebracht hat. Ich meine den Jakobsweg, und einmal ist sie sogar noch Fallschirm gesprungen.
Seit letztem Herbst ist als Komplikation eine Herzinsuffizienz hinzugekommen. Wir sind nur noch am Rande in ihrer Behandlung involviert, weil sie momentan keine Therapien mehr hat. Ich habe sie stets als liebenswürdige und freundliche Gesprächspartnerin erlebt. Ich wünsche ihr, dass sie nicht leiden muss, und hoffe, dass ihr Zustand – wie durch ein Wunder – stabil bleibt.»
Die klinische Fachspezialistin: Simone Stickel (44)
«In unserer Spezialsprechstunde für Pulmonale Hypertonie sehen wir Pflegenden die Patientinnen und Patienten stets vor den Ärztinnen und Ärzten. Wir machen Blutentnahmen, einen Gehtest, nehmen ihr Befinden auf und kontrollieren die Medikamente. In der interprofessionellen Sprechstunde geht es darum, wie sie die chronische Krankheit in ihren Alltag integrieren können. Ich mag knifflige organisatorische Aufgaben, schlage mich auch mal mit Krankenkassen herum. Aber Daniela Kurjacki, die wir seit 2017 kennen, benötigte nie viel Hilfe von uns, sondern hatte stets selbst die Energie, sich Hilfsmittel und Unterstützung zu beschaffen. Draussen ist sie schon seit Langem mit ihrem Elektro-Scooter unterwegs. Wir freuen uns immer alle, wenn sie kommt. Das ist etwa zwei Mal im Jahr. Sie hält dann mit allen einen Schwatz, versprüht Fröhlichkeit. Es ist bewundernswert, wie sie stets positiv bleibt und wie viel Energie sie aufbringt für ihren Alltag.
Frau Kurjacki hat von Anfang an klar Grenzen gesetzt, wenn es um die Therapieauswahl ging. So hatte sie eine Lungentransplantation abgelehnt, mit dem Wissen, dass sie somit die Möglichkeiten einer Besserung und Lebensverlängerung verpasst. Ihr war das klar und sie konnte damit leben. Die Ärztinnen können weniger gut mit dem Ablehnen der Therapien umgehen. Wir Pflegenden kommen besser damit klar, dass sie sich auch mit anderen Methoden behilft als mit schulmedizinischen.
Seit etwa einem Jahr scheint ihre Energie abzunehmen, es geht leider abwärts. Ich hoffe, dass sich der Verlauf wieder stabilisiert und sie den Lehrabschluss ihres jüngsten Sohnes noch erleben kann.»
Wie Daniela Kurjacki ihre seltene Krankheit meistert
Vor 13 Jahren wurde Daniela Kurjacki eine schwere Lungenkrankheit diagnostiziert. Vor acht Jahren fiel dann die Diagnose systemische Sklerose. Diese seltene Krankheit macht, dass überaktive Zellen des Bindegewebes zu viele Kollagenfasern produzieren. Das Gewebe verklebt und verhärtet. Lange war bei Kurjacki nur die Lunge betroffen. Seit etwa einem Jahr macht ihr auch das Herz zu schaffen, und die Patientin suchte selbst die Unterstützung durch Fachpersonen der Palliative Care.
Zuvor rieten Spezialistinnen und Spezialisten ihr wiederholt zu einer Lungentransplantation. Sie lehnte stets ab. Sie wollte nie viele Medikamente schlucken und ausser einer leichten Chemotherapie akzeptiere sie praktisch keine klassisch-medizinischen Behandlungen. Sie probierte hingegen alternative Heilmethoden aus, begann zu meditieren und isst seither vegetarisch. Daniela Kurjacki lebt mit ihren drei fast erwachsene Kindern und ihrem Hund in Glattbrugg.
Sie hat engen Kontakt zu ihrer Familie, und ihren Ex-Partner sieht sie täglich. Sie verfügt über ein grosses Netz aus Freundinnen und Freunden. Vor der Geburt ihres ersten Kindes war Daniela Kurjacki viel unterwegs und sehr sportlich. Als Jugendliche wäre sie fast Profi-Snowboarderin geworden.