Diagnose ALS – Andrea erzählt von ihrer Ohnmacht

15.11.24

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Andrea begleitete ihren Mann zusammen mit den Söhnen von der Diagnose ALS bis zum Tod. Er wurde zudem von Palliaviva betreut. Zum Zeitpunkt der Diagnose lebten Andrea und ihr Mann schon länger getrennt. Dass sie sich um ihn kümmerte, war für sie ganz selbstverständlich.

«Für mich war es klar, dass ich ihm beistehen würde in dieser Zeit. Ich habe keine Sekunde darüber nachgedacht», sagt die 54-jährige Andrea, die in einer Vorortsgemeinde von Zürich wohnt. Sie lebt zusammen mit ihren beiden Söhnen, 19- und 22-jährig, die beide studieren. Im Oktober 2023 starb ihr Mann, nachdem er im Jahr zuvor die Diagnose ALS erhalten hatte. Den MRI-Termin und die definitiven Abklärungen, die zur Diagnose führten, hatte der damals 60-Jährige längere Zeit hinausgeschoben – obschon es bereits früher Anzeichen für eine Erkrankung gab.

Lahme Hände und Arme

ALS (Amyothrophe Lateralsklerose) ist eine unheilbare Krankheit, die das Nervensystem und die Nervenzellen angreift. Sie führt kurz gesagt dazu, dass die Steuerung der Muskeln gestört wird. Bei Andreas Mann äusserte sich die Erkrankung zu Beginn in Lähmungserscheinungen, die sich zuerst in einer Hand, dann im ganzen Arm und später auch im anderen Arm zeigten. Sie bemerkte auch schon recht früh, dass sein Gang nicht mehr ganz «rund» war.

Die Diagnose wurde gestellt, indem die Spezialisten andere Ursachen für die motorischen Störungen ausschlossen. Als es hiess, er leide unter ALS, verdrängte ihr Mann die Erkrankung zunächst, so gut es ging. «Er dachte immer, er könne die Krankheit überwinden. Bis fast zuletzt glaubte er an eine Heilung», erinnert sich Andrea. Für sie sei das manchmal schwierig gewesen, weil sie das Bedürfnis spürte, über das Unabänderliche zu sprechen.

Andrea und ihr Mann waren im Frühling 2022, als er die Diagnose erhielt, bereits seit rund fünf Jahren getrennt. Sie lebten in zwei benachbarten Gemeinden in zwei Wohnungen. Die Söhne wohnten bei ihr, verbrachten aber regelmässig Zeit bei ihrem Vater. Die beiden jungen Männer halfen tatkräftig mit bei der Pflege des Erkrankten, und auch Andrea, die damals noch in einem 50-Prozent-Pensum arbeitete, war stark belastet.

Familie stiess an Grenzen

Die Anforderungen an die Familie beschreibt sie als enorm. «Ab Mai 2022 konnte er mit den Armen nichts mehr machen, und die Krankheit schritt schnell voran», erzählt sie. Ihr Mann war jeden Tag auf Pflege angewiesen, und irgendwann musste er 24 Stunden betreut werden. Die Familie stiess an Grenzen und engagierte über eine Organisation eine Pflegerin, die aus Polen stammte und sich hervorragend um ihn kümmerte.

«Wir hatten immer wieder auch lustige Momente und konnten zusammen lachen», erzählt Andrea, doch der psychische und physische Druck, der auf den Angehörigen lastete, war gross. «Es war sehr schwer mit anzusehen, wie dieser Mann, der immer sportlich gewesen war, seinen Körper verlor.» Ihr kam es vor, als sei er bei vollem Bewusstsein «gefangen in seinem Körper».

Die Betreuerin, die eines der Kinderzimmer in der Wohnung von Andreas Mann bezogen hatte, und die Familie gaben ihm abwechselnd das Essen und das Trinken ein. Die Tage verbrachte er in einem Sessel vor dem Fernseher. Das Fernsehgerät konnte zum Glück über die Stimme gesteuert werden. «Mein Mann schaute Serie um Serie», sagt Andrea. Sein Wunsch war es, möglichst lange zu Hause zu bleiben, und sie und die Kinder gaben alles, um ihm diesen Wunsch erfüllen.

Hohe administrative Hürden

Ohnmacht verspürte Andrea vor allem auch, wenn es um Administratives ging, etwa um Absprachen mit Versicherungen. Von der Wohngemeinde ihres Mannes, an die sie sich wandte, fühlte sie sich überhaupt nicht gestützt. Sie hätte sich eine Ansprechperson auf der Gemeinde gewünscht, die sie ernst genommen hätte.

Als die Situation zu Hause zunehmend schwieriger wurde, schlug die lokale Spitex, die jeden Tag für die Grundpflege vorbeikam, den Beizug von Palliaviva vor. Als spezialisierte Palliative-Care-Organisation ist Palliaviva sehr erfahren darin, komplexe körperliche Symptome zu lindern, die Angehörigen zu unterstützen und zu helfen, ein tragfähiges Netzwerk aufzubauen. «Als mich jemand von Palliaviva zum ersten Mal fragte, wie es denn eigentlich mir gehe, liefen die Tränen», sagt Andrea.

Schmerzhafter Abschied

Die letzten beiden Wochen seines Lebens verbrachte ihr Mann in der Villa Sonnenberg, dem Kompetenzzentrum für Palliative Care des Spitals Affoltern. Die Gefahr, dass er sich verschlucken würde, hatte stark zugenommen, und zudem litt er an immer stärker werdenden Schmerzen. Die 24-Stunden-Betreuerin brauchte ausserdem eine Pause und musste zu Hause dringend etwas erledigen.

Der Aufenthalt in Affoltern war am Anfang eigentlich nur als Überbrückung gedacht. Doch nun zeichnete sich ab, dass ihr Mann bald sterben würde. Der endgültige Abschied war für Andrea sehr traurig und schmerzhaft.

Heute, mit einigem zeitlichen Abstand, ist sie einfach nur stolz auf ihre Söhne und dankbar dafür, dass sie momentan keine finanziellen Sorgen hat. Sie nimmt sich Zeit «für die Heilung», wie sie sagt, und kann für ihre Kinder da sein, wenn diese sie brauchen.

Das ganze Gespräch gibt es hier als Podcast zu hören.

Der Verein ALS Schweiz bietet Beratung und Unterstützung für Betroffene, Angehörige und Fachpersonen.

 

 

 

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