Die 10 wichtigsten Fragen
23.09.24
Palliaviva hat begonnen, IPOS einzuführen: Dabei arbeiten Ankie von Es von Palliaviva (links) und Susanne de Wolf von der ZHAW eng zusammen.
«Warum wollen die so viel von mir wissen?» Das denken sich wohl manche Betroffene, die von Palliaviva begleitet werden. Der Grund liegt unter anderem bei IPOS, einem international anerkannten Fragebogen.
Wer sich bei Palliaviva meldet, bekommt Besuch von einem Mitglied des Pflegeteams. Sitzt man dann zu Hause zusammen, um die Situation gemeinsam zu besprechen, stellen die Palliaviva-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter zunächst einmal viele Fragen. Ihr Ziel ist es, die Bedürfnisse der kranken Personen und ihrer Angehörigen möglichst gut zu erfassen.
Dieses Erstgespräch ist wichtig, um die passende palliativmedizinische, pflegerische und beratende Unterstützung leisten zu können. Es ist aber nur eine Momentaufnahme, die in regelmässigen Abständen wiederholt wird. Diese Gespräche führt das Palliaviva-Team auf der Grundlage eines Rasters, mit dem die wichtigsten Symptome und Belastungen erfragt werden.
Individuelle Einschätzung
Seit Ende 2023 arbeitet Palliaviva mit IPOS (Integrated Palliative Care Outcome Scale), einer Skala aus 10 Fragen, die auf Symptome und die Belastung der Patientinnen und Patienten sowie der Angehörigen fokussieren. Denn die Betroffenen sind die Expertinnen und Experten für ihr individuelles Wohlbefinden. Bei IPOS geht es darum, zu erfahren, wie belastend einzelne Symptome oder Probleme sind.
Die erste Frage bei IPOS beispielsweise lautet: «Welche Hauptprobleme oder Sorgen hatten Sie in den letzten 3 Tagen?» Weiter unten finden die Patientinnen und Patienten eine Liste mit Symptomen, die sie unter Umständen betreffen. Auf einer Skala von «gar nicht» bis «extrem» sollen sie ankreuzen, wie sehr sie in den letzten drei Tagen durch die einzelnen Symptome belastet waren. Die Liste schliesst Schmerzen, Atemnot, Übelkeit oder auch Verstopfung ein.
Kompakt, aber umfassend
Weitere Fragen zielen auf psychische und familiäre Aspekte. Eine heisst zum Beispiel: «Waren Sie in den letzten drei Tagen traurig oder bedrückt?», eine weitere betrifft Sorgen wegen der Erkrankung. IPOS ist umfassend und multidimensional. Das bedeutet, dass physische, psychische, soziale und spirituelle Bedürfnisse, aber auch praktische Punkte und Informationsbedürfnisse erfasst werden. Und das alles sehr kompakt, mit 10 Fragen.
Bei IPOS gibt es eine Version für die Patientinnen und Patienten und eine für die Pflege. Das routinierte Palliaviva-Team stellt die Fragen meistens, ohne das Papier direkt vor sich zu haben. Den Fragebogen für die Betroffenen – der in viele Sprachen übersetzt wurde – geben sie nach dem Erstgespräch mit dem «Patientenmäppli» ab. Nicht immer sind die Betroffenen in der Lage, selber einen Fragebogen auszufüllen. Manchmal fehlt es auch an der notwendigen Zeit. In diesen Fällen erfolgt die Erfassung einzig durch die Pflegenden.
Palliaviva hat IPOS aus verschiedenen Gründen eingeführt:
- IPOS ist ein international anerkanntes, messgenaues und validiertes Messinstrument.
- Die Zertifizierung «qualité palliative» (Anerkennung der Qualität in Palliative Care) setzt die Arbeit mit einem validierten Assessmentinstrument voraus.
- Die Informationen, die mit IPOS erhoben werden, erlauben es Palliaviva, die Qualität sowie die Wirksamkeit der eigenen Arbeit zu messen und im Sinne der Patientinnen und Patienten zu optimieren.
- IPOS kann das Schnittstellen-Management in der integrierten Versorgung durch eine gemeinsame Sprache verbessern.
Die Umsetzung von IPOS wird bei Palliaviva von der Geschäftsleitung und der Fachgruppe Pflege vorangetrieben. Projektleiterin ist Palliaviva-Mitarbeiterin Ankie van Es. Während zwei Jahren wird das Projekt zudem von Susanne de Wolf-Linder, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Pflege der ZHAW, begleitet. Sie betont: «Die Daten, die Palliaviva durch IPOS erfasst, bleiben bei Palliaviva.»
Die ZHAW begleitet die Einbettung von IPOS in den Palliaviva-Alltag als vertraglich vereinbarte Dienstleistung mit dem Ziel, die sogenannte patientenzentrierte Versorgung in den Partnerorganisationen zu verbessern. IPOS orientiert sich an der Perspektive der Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen.
Feedbacks aus dem Alltag
Susanne de Wolf-Linder begleitet die Einführung bei Palliaviva, indem sie sich eng mit Ankie van Es austauscht, aber auch regelmässig an Teamsitzungen teilnimmt. Sie beantwortet Fragen, nimmt Feedbacks entgegen und sucht mit dem Team nach gemeinsamen Lösungen.
Susanne de Wolf-Linder sagt: «Mit IPOS arbeiten zunehmend auch andere Palliative-Care-Institutionen, darunter Spitäler, aber auch lokale Spitex-Organisationen.» Das Ziel ist, dass sich hier eine «gemeinsame Sprache» entwickelt, sich die Pflegefachleute vernetzen und austauschen und die Arbeit für alle einfacher wird. «Der Verlauf der Erkrankung und der Symptome wird über den ganzen Behandlungspfad übersichtlich dokumentiert», so Susanne de Wolf-Linder. «So können, wenn nötig, schnell Massnahmen eingeleitet werden.»
Verbesserte Kommunikation
Pflegefachfrau und Projektleiterin Ankie van Es unterstreicht den Nutzen von IPOS über die einzelne Institution hinaus: «Übertritte von zu Hause ins Spital oder umgekehrt sind immer heikle Momente. Wenn hier die Kommunikation unter den Fachleuten verbessert werden kann, kommt das den Betroffenen zugute. Sie fühlen sich besser verstanden und müssen nicht alles dreimal erklären.»
IPOS ist für Ankie van Es und Susanne de Wolf-Linder ein perfektes Beispiel für «angewandte Wissenschaft». Das Instrument werde seit fast dreissig Jahren immer weiter entwickelt, sagt die ZHAW-Mitarbeiterin. Mittlerweile werde es in aller Welt eingesetzt. «IPOS wurde vielfach erprobt, erforscht und – auch dank Rückmeldungen aus der Praxis – weiterentwickelt.» Das soll auch in Zukunft so bleiben.
IPOS fügt sich ein ins sogenannte SENS-Modell, an dem sich die spezialisierte Palliative Care bei Palliaviva orientiert. SENS steht für Symptom-Management, Entscheidungsfindung und Erwartungen, Netzwerkorganisation und Support für das Umfeld.
Zusätzlich zu IPOS schätzen die Palliaviva-Mitarbeitenden auch den sogenannten Karnofsky-Status (AKPS = Australia-modified Karnofsky Performance Status) und die Palliativphase ein. Der Karnofsky-Status gibt darüber Auskunft, wie gut sich die Betroffenen im Alltag selbstständig bewegen können (die Skala umfasst beispielsweise «keine Beschwerden» bis zu «bettlägerig»). Mit dem Modell der Palliativphasen wird die Dringlichkeit von Massnahmen der Palliative Care eingeschätzt.