«Die letzten Minuten laufen vor mir ab wie ein Film»
12.06.23
Ein Bild aus glücklichen und gesunden Zeiten: Rolf Kundert (links) und Bruno Pfister auf Reisen. (Bild: Privat)
Bruno Pfister hat im Januar 2023 seinen Partner verloren. Sein Mann Rolf Kundert starb nach langer Krankheit in der Villa Sonnenberg in Affoltern am Albis. Palliaviva hat das Paar während knapp zwei Jahren begleitet.
Das Ende hatte sich angekündigt, und doch kam es plötzlich. Rolf Kundert starb am 23. Januar 2023 in der «Villa», der Palliativstation des Spitals Affoltern am Albis, im Beisein seines Mannes. «Ich hielt ihn in meinen Armen», erzählt Bruno Pfister wenige Monate danach bei sich zu Hause. Beim Gedanken an diesen letzten Moment schüttelt ihn die Trauer. Er vermisst seinen Partner sehr. Sie waren fast 35 Jahre lang ein Paar gewesen.
Haustiere, der Garten – und Filme
Wir sitzen im Wintergarten des Reihenhäuschens mit Blick in den Garten. Das war der Platz, an dem Rolf Kundert so gerne sass, auch dann noch, als es ihm in der letzten Zeit immer schlechter ging. Katze Mopsli streicht um unsere Beine und lässt sich von Bruno Pfister streicheln. Zum Haushalt gehört auch Schildkröte Fritz, die momentan aber noch ihren Winterschlaf macht. «Die Schildkröte ist im Kühlschrank», erzählt Bruno Pfister, «dort ist die Temperatur schön konstant.» Viele Winter hat Fritz schon im Kühlschrank verbracht, was übrigens auch von einschlägigen Experten empfohlen wird. Fritz ist 65 Jahre alt und könnte theoretisch das 120. Altersjahr erreichen, wie Pfister erklärt.
Die Haustiere, das Reiheneinfamilienhaus und der Garten: All das sind wichtige Dinge in seinem Leben und waren es auch für seinen Partner Rolf Kundert. Dieser war ausserdem sehr an Filmen interessiert. «Seine 16mm- und Super-8-Filme, von denen er viele selber gedreht hatte, füllten ein ganzes Zimmer», sagt Pfister. «Dazu kamen Hunderte von VHS-Kassetten, DVDs mit gekauften Kinofilmen sowie Schallplatten. Man konnte sich in dem Raum kaum mehr bewegen.»
Ein Leben in Bildern
Kürzlich hat sich Bruno Pfister von einem grossen Teil der Filme getrennt. Einige wird er – digitalisiert – wieder zurückbekommen. Ein Bekannter hat ihm versprochen, die selbstgedrehten Filme auf zeitgemässe Datenträger zu kopieren. Denn Rolf Kundert hielt mit der Kamera viele Erlebnisse auf Reisen oder während Wanderungen fest. Die beiden kamen ziemlich weit herum, wie Pfister erzählt: 1989 und 1994 nahmen sie sich eine längere Auszeit und reisten während mehreren Wochen mit dem Camper durch die USA.
Wenn Bruno Pfister nun von der allerletzten Zeit im Leben seines Mannes erzählt, berührt einen das ganz besonders. «Die letzten Minuten laufen vor mir ab wie ein Film», sagt er, der die Leidenschaft seines Partners für bewegte Bilder immer unterstützte. Diese Passion hatte Kundert von seinem Vater übernommen. Der Vater und später auch er selbst waren Kinooperateure in ihrem Heimatort im Kanton Glarus.
Ob Rolf Kundert durch die Filme ein Stückweit versuchte, der Realität zu entfliehen? Wir können ihn nicht mehr fragen. Jedenfalls erzählt Bruno Pfister, sein Partner habe eine schwere Kindheit gehabt und sich früh selbständig durchs Leben schlagen müssen. In jungen Jahren habe er mit dem Trinken begonnen, sei aber gleichzeitig sehr arbeitsam gewesen. Der gelernte Offsetdrucker habe selbst in den Ferien und an den Wochenenden Aushilfsjobs angenommen. Dies, um das damals noch teure Hobby des Filmens finanzieren zu können, denn die Entwicklung der unbelichteten Filme war kostspielig.
Fast zwei Jahre in Kontakt mit Palliaviva
Rolf Kundert war noch nicht 59 Jahre alt, als er im vergangenen Januar starb. Sein Mann – sie lebten in einer eingetragenen Partnerschaft – ist drei Jahre älter. Zusammen waren sie ein eingeschworenes Team, und für Bruno Pfister war es selbstverständlich, dass er seinen Liebsten pflegen würde. «Es war sein Wunsch, so lange wie möglich zu Hause zu bleiben», sagt er. «Dank der Unterstützung durch die Palliaviva-Mitarbeitenden Livia de Toffol und Olaf Schulz war das möglich.» Die beiden betreuen vor allem Patientinnen und Patienten im Knonaueramt.
Dass eine Patientin oder ein Patient wie in diesem Fall rund zwei Jahre von Palliaviva begleitet wird, ist eher ungewöhnlich, aber durchaus sinnvoll. Kundert hatte gute Phasen, dann wieder Zusammenbrüche, die vorher regelmässig zu notfallmässigen Spitalaufenthalten geführt hatten. «Bevor Palliaviva dazukam, herrschte ständige Ungewissheit», beschreibt Bruno Pfister. Nach dem Beizug der spezialisierten Palliative-Care-Spitex habe sich die Situation deutlich beruhigt. Die beiden bekamen einen Notfallplan und Notfallmedikamente. Den Kontakt zu Palliaviva hatte die Villa Sonnenberg vermittelt.
Diskriminierte Liebe
Die zwei Männer haben gemeinsam schwierige Zeiten gemeistert. Kundert erkrankte 2009 an einer schweren Form von Arthritis. Zuletzt litt er zusätzlich an Diabetes, Herzproblemen und einer Leberzirrhose. Schon vor 2009 hatte er seine Stellen als Offsetdrucker und als Kinooperateur verloren. Auch der gelernte Bauspengler Bruno Pfister litt nach einem schweren Arbeitsunfall und einer nachfolgenden Operation am Genick unter ständigen Schmerzen. «Einer meiner Brüder war so grosszügig, uns finanziell immer wieder unter die Arme zu greifen.»
Kennengelernt hatte sich das spätere Paar durch ein Inserat im «Züri Leu», das Pfister in der Gratiszeitung aufgegeben hatte. «Beim ersten Treffen im Café Odeon war ich sehr nervös», erinnert er sich. Bald funkte es zwischen dem Glarner und dem Stadtzürcher, und ihre Beziehung begann. Während einigen Jahren hätten sie danach zwar beide in Zürich, aber in getrennten Wohnungen gelebt. Erst nach der USA-Reise 1994 zogen sie zusammen.
Als Männer-Paar sei es immer schwierig gewesen, akzeptiert zu werden, sagt Pfister – früher freilich noch mehr als heute. «Aber diskriminiert wurden wir eigentlich fast immer», hält er fest. Man hört ihm an, dass er sich in seinem Leben häufig ungerecht behandelt fühlte. Doch verbittert wirkt er deswegen nicht. Der Glaube gebe ihm Kraft, sagt er. Immerhin habe Gott seinem Partner ein «Zusatzjahr» geschenkt. Damals, Anfang 2022, habe kaum mehr jemand an eine Erholung geglaubt, und doch habe es auch danach wieder gute Phasen gegeben. Bis zuletzt habe sich sein Mann mit seiner Hilfe vom ersten Stock ins Erdgeschoss bewegen können – in den Wintergarten, an seinen Lieblingsplatz mit Sicht in den Garten.