«Die neugierigen Fragen der Kinder sind am allerschönsten»

20.08.24

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Cover des Kinderbuches «Radieschen von unten».

«Radieschen von unten» heisst ein Kinderbuch, das kürzlich im Klett-Kinderbuch-Verlag erschienen ist. Das informative, reich illustrierte Werk nimmt Kinder mit ins Reich des Todes. Ein Interview mit der Autorin.

Das Titelbild des Buches zwingt einen bereits zum genauen Hinschauen: Die farbige Illustration zeigt ein Menschlein mit Sonnenhut und einer Spritzkanne in den Händen. Die Person giesst Wasser über das grüne Kraut von vier knallroten Radieschen. Unter diesen liegt in der schwarzen Erde ein bleiches Skelett.

Wer tot ist, sieht die Radieschen von unten. Die Zeichnung nimmt den Titel des Werkes auf, das mit dem Untertitel «Das bunte Buch über den Tod für neugierige Kinder» versehen wurde. Das Buch ist umfangreich, es hat 160 Seiten, und es lässt scheinbar keine Frage aus im Zusammenhang mit Sterben und Tod.

Verfasst wurde «Radieschen von unten» von der Autorin Katharina von der Gathen, die eng mit der Illustratorin Anke Kuhl zusammenarbeitete. Entstanden ist ein buntes, ausserordentlich informatives Buch, das mit viel Sorgfalt ein schwieriges Thema behandelt und Wissen vermittelt.

So erzählt beispielsweise ein Bestatter aus seinem Alltag. Man erfährt, was Totenstarre ist oder wie Totenflecken entstehen, und Trauergefühle werden in ihren verschiedenen Ausprägungen beschrieben. Ein Kapitel widmet sich unterschiedlichen Bestattungsformen, ein weiteres dem Umgang mit Toten in diversen Religionen.

Die Autorin Katharina von der Gathen hat Palliaviva einige Fragen zum Buch beantwortet.

Porträt der Kinderbuch-Autorin Katharina von der Gathen. Foto: Peter Nierhoff.

Katharina von der Gathen (Foto: Peter Nierhoff)

 

Wie ist die Idee zum Buch entstanden?

Die Idee zu diesem Buch gärte schon lange in mir. Bei vielen gängigen Kinderbüchern, die Sterben und Tod zum Thema haben, hat mir persönlich immer wieder die kindliche, die neugierige Frageperspektive gefehlt: Was passiert denn nun mit einem Körper, wenn jemand gestorben ist? Wo wird er aufbewahrt, und was wird mit ihm gemacht? Die meisten Bücher für diese Zielgruppe sind Trostgeschichten, in denen Kindern zwar Möglichkeiten eröffnet werden, mit Trauergefühlen umzugehen, aber die konkreten Fragen bleiben oft aussen vor.

Warum braucht es dieses Buch für Kinder über Sterben und Tod?

Kinder haben in ihrem Grosswerden die unterschiedlichsten Erfahrungen mit dem Tod: sei es, dass ihr geliebtes Haustier oder ein naher Verwandter stirbt, ein Freund der Familie verunglückt, dass sie ein totes Eichhörnchen am Strassenrand finden oder sie in den Nachrichten einen Bericht über den Ukrainekrieg sehen. Das alles weckt Fragen. Gleichzeitig halten Erwachsene Kinder oft instinktiv aus Themen heraus, mit denen es schwierig werden könnte – denn es schwingen immer auch die eigenen Unsicherheiten und Verletzlichkeiten mit. Solche Themen sind herausfordernd. Das Wichtigste ist, Kinder mit all ihren Fragen ernst zu nehmen und nicht allein zu lassen!

Welche persönlichen Bezüge haben Sie zu diesen Themen?

In meiner eigenen Biografie haben die Themen Sterben und Tod schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Als Tochter eines Pfarrers habe ich Beerdigungen und Sterbebegleitung als selbstverständliche Bereiche eines Berufsalltags erlebt. Als Erwachsene habe ich das Sterben meiner Mutter mitbegleitet und musste mich auch mit dem plötzlichen Tod meiner Schwester auseinandersetzen.

Wer soll Ihr Buch lesen oder vorlesen?

Mit unserem Buch möchten die Illustratorin Anke Kuhl und ich das Thema für Kinder öffnen und ins Leben holen: Der Tod ist Teil des Lebens, er gehört ganz klar dazu und es lohnt sich, gemeinsam genauer hinzuschauen und über seine unterschiedlichen Facetten nachzudenken. Deshalb hat das Buch eher einen grundsätzlichen Charakter. Als Zielgruppe haben wir Kinder ab acht Jahren vorgesehen. Diese Vorgabe wird für uns mit zunehmenden Erfahrungen jedoch immer unschärfer, denn auch viele Erwachsene melden uns zurück, wie hilfreich das Buch für sie ist. In der letzten Woche erreichte mich beispielsweise die Mail einer Frau, die berichtete, dass in der akuten Abschiedssituation unser Buch für sie und ihren Sohn hilfreich war. Beide fühlten sich gut vorbereitet, als sie die lila Totenflecken am Körper ihres Vaters beziehungsweise Grossvaters entdeckten.

Das Buch ist umfangreich – und anspruchsvoll. Gewisse Stellen scheinen sogar zu anspruchsvoll für Kinder zu sein …

Erfahrungsgemäss suchen sich Kinder die Informationen aus einem Buch heraus, die für sie in ihrer jeweiligen Situation relevant sind – den Rest lassen sie fallen. Mit diesem Wissen braucht man keine grossen Sorgen zu haben, sein Kind mit einem Thema zu überfordern. Ich denke, «Radieschen von unten» ist eher ein Buch, das man immer wieder einmal aus dem Regal ziehen kann. Wir alle wissen doch: Solche Themen sind nicht mit einem Mal abgehakt. Sie wirken weiter und lassen immer wieder neue Fragen aufkommen.

Im Buch gibt es Witze zu Sterben und Tod, ausserdem Bastelbögen für eine Schädelmaske und für ein Särglein. War es schwierig, die Gratwanderung zwischen ernst und traurig beziehungsweise leicht und lustig zu schaffen?

In der Konzeption des Buches war schnell klar, dass es diesen Wechsel von Ernst und Leichtigkeit geben muss. Lachen löst Spannungen und Ambivalenzen, gerade im Umgang mit dem Thema Tod wirkt es ziemlich gut. Ausserdem wecken gerade die lustigen und skurrilen Illustrationen auch die Neugier der Lesenden. Sie dienen sozusagen als Türöffner, um sich schliesslich tiefer mit den einzelnen Kapiteln zu beschäftigen.

Was war das Schwierigste für Sie bei der Erarbeitung dieses Buches?

Ich hatte bei der Recherche wirklich Respekt davor, diese schweren Themen für Kinder verständlich und einfühlsam aufzubereiten: Welche Details kann ich Kindern zumuten? Was lasse ich lieber weg, und wo möchte ich trotz aller Bedenken ehrlich bleiben? Die Gespräche mit Kindern selbst haben mich schliesslich immer wieder darin bestärkt, auch Schwieriges offen anzusprechen. Deshalb lasse ich in dem Buch auch Themen wie Totenversorgung, Verwesung oder Verlustängste und tiefe Trauergefühle nicht aus.

Welche Reaktionen bekamen Sie bisher zum Buch?

Wir freuen uns sehr, dass unser Buch gut ankommt und aus den Kinderbuch-Erscheinungen zu diesem Thema heraussticht. Erst letzte Woche waren wir in Wien, um den Wissenschaftsbuchpreis 2024 in der Juniorkategorie entgegen zu nehmen, und auch für den diesjährigen Deutschen Jugendliteraturpreis sind wir nominiert. Grosse Freude! Wichtiger ist uns jedoch, dass sich bereits mehrere Hospizvereine bei uns gemeldet haben, die sich freuen, dass die Themen Tod und Sterben durch das Buch mehr Sichtbarkeit erfahren. Am allerschönsten sind aber immer die direkten Reaktionen und neugierigen Fragen der Kinder bei den Lesungen.

Katharina von der Gathen, Anke Kuhl: Radieschen von unten ‒ Das bunte Buch über den Tod für neugierige Kinder. Klett Kinderbuch. 160 Seiten. ISBN 978-3-95470-285-5

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