Ein Künstler, der bisher im Verborgenen blieb

19.03.25

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Bruno Späti steht in seinem Atelier.

Manchmal entdeckt unser Team bei seinen Einsätzen ganz Erstaunliches. Aufgefallen sind bei einem Hausbesuch in Adliswil viele Zeichnungen, Malereien und dreidimensionale Objekte. Geschaffen hat sie Bruno Späti, der Mann einer Patientin, die von Palliaviva betreut wird.

«Kunst? Was ist Kunst?», fragt Bruno Späti mit einem spitzbübischen Lächeln. Der Mann mit den weissen Haaren und den buschigen Augenbrauen diskutiert gerne. Dieses Jahr wird er 95, ist geistig noch fit, und die vielen Treppen im Haus, in dem er mit seiner Frau lebt, machen ihm keine Mühe. «Dafür haben wir keine Hüftprobleme», antwortet er auf die entsprechende Frage.

Im ganzen Haus hängen Zeichnungen und Gemälde an den Wänden. Auf Ablagen und Regalen stehen faszinierende, komplex aufgebaute dreidimensionale Objekte. Manche sind aus grauem Karton, einige aus silbrig beschichtetem Spiegelkarton und wieder andere aus farbigem Kunststoff oder Holz gefertigt. Alle sind, wie Bruno Späti sagt, «mathematisch gedacht». Er versuche, mathematischen Fragestellungen einen gestalterischen Ausdruck zu geben.

Eines von Bruno Spänis Objekten aus Spiegelkarton.

Ein Dodekaeder, ein Zwölfflächner, aus Spiegelkarton. (Weitere Fotos ganz zuunterst im Beitrag.)

 

Hinter jedem Bild und hinter jedem Objekt steht also eine mathematische beziehungsweise geometrische Theorie, und dafür gibt es eine Erklärung: Bruno Späti war vierzig Jahre lang Architekt mit einem eigenen Büro. Ausserdem war er Oberst im Militär, er zog mit seiner Frau drei Kinder gross, und er ist noch heute ein erklärter Liebhaber von Bäumen. Früher sei er täglich mehrere Kilometer durch den Wald spaziert, erzählt er.

Der ganzheitliche Mensch

Bruno Spätis Frau ist unheilbar krank und wird vom Palliaviva-Team begleitet. Dass er diese Betreuung, die auch ihm als Angehörigem zugutekommt, enorm schätzt, betont er mehrmals. Palliative Care war für ihn bis vor kurzer Zeit eine Unbekannte. Er sagt, nun sei ihm jedoch klar geworden, dass Palliative Care heute eine Notwendigkeit sei und morgen – mit der alternden Bevölkerung – eine Selbstverständlichkeit sein müsse.

«Was der Arzt in seiner Praxis oder im Spital macht, ist gut, aber nicht ganzheitlich», erklärt er. «Der Mensch besteht nicht nur aus einer Wunde am Fuss oder einer Beule am Kopf. Er ist ein ganzheitliches Wesen.» Diese Betrachtung erlebe er in der Umsetzung, wenn das Palliaviva-Team zu seiner Frau und ihm nach Hause komme. Für sie beide sei es unheimlich wichtig, daheim bleiben zu können, solange es möglich ist. Dabei können sie auf die Unterstützung der Familie zählen.

Bruno Späti erzählt, vor einigen Jahren habe er nach einem Sturz, der darauffolgenden Operation am Knie und dem Spitalaufenthalt zehn Tage lang in einem Heim gewohnt, bevor er ins Haus mit den Treppen zurückkehren konnte. Im Heim sei ihm ein Licht aufgegangen, denn er habe den Alltag dort als weitgehend trostlos erlebt. «Wenn die Suppe gegessen ist, werden die Medikamente verteilt, dann gehen alle in ihr Zimmer und ins Bett.» Die mobile Palliative Care, wie Palliaviva sie bietet, muss in seinen Augen ausgebaut werden.

Kein Tag ohne kreatives Schaffen

Zurück aber zu seiner Kunst – obschon er das Wort nicht gerne hört und selber praktisch nie für sich benutzt. «Ich betätige mich einfach gestalterisch», sagt er, ganz schön bescheiden, während einer Führung durchs Haus – vom Wohnzimmer bis hinauf in sein Arbeitszimmer, wo an einem Schreibtisch all diese aussergewöhnlichen Objekte und Bilder entstehen.

Bruno Spätis Kreativität scheint grenzenlos zu sein. Jeden Tag sei er hier im Arbeitszimmer, erzählt er, getreu dem Motto «Nulla dies sine linea», was soviel bedeutet wie «Kein Tag ohne Linie». Auf dem Arbeitstisch liegen Rollen mit beschriftetem Transparentpapier, zahlreiche Kartonmodelle und quadratische Kunststoffplatten. Er setzt sich auf den Stuhl und nimmt vier Kartonkonstruktionen zur Hand, die auf den ersten Blick alle wie Würfel aussehen, von denen aber nur eine ein perfekter Würfel ist. Die anderen drei hat er auf der Grundlage geometrischer Berechnungen abgewandelt.

Das Bücherregal im Arbeitszimmer zeugt von seinen vielseitigen Interessen, die er, wie das Gestalterische, seit seiner Jugend pflegt. Das Gestell ist fein säuberlich beschriftet, von M wie Mathematik bis zu P wie Philosophie. Ein weiteres grosses Bücherregal – auch dieses ist perfekt angeschrieben – befindet sich ein Geschoss weiter unten. Hier sind viele Kunstbücher zu finden, denn Bruno Späti interessiert sich auch sehr für die Kunst anderer.

Mit Hirn, Herz und den Händen

Mittlerweile sei seine Sehkraft leider eingeschränkt, erzählt er. Er leide unter einer Makuladegeneration und brauche die Lupe oder ein Lesegerät, mit dem die Schrift eines Buches oder der Zeitung beliebig vergrössert werden könne. Noch immer sei er aber ein begeisterter Ausstellungsbesucher, sagt er, und in jüngeren Jahren habe er auch freundschaftliche Kontakte zu Künstlern unterhalten, etwa zu Max Brunner oder Hans Falk.

Bruno Späti hat sehr viel Geduld, wenn er mit Gestalten beschäftigt ist. Über Nacht entstehe keines seiner Werke; die Entwicklung sei zeitintensiv, betont er: «Kunst erfordert einen Prozess, der im Hirn, im Herzen und mit den Händen geschieht.» Und «ein bisschen Vorstellungsvermögen» gehöre auch dazu, untertreibt er einmal mehr. Womit wir dann doch wieder beim Kunst-Begriff angelangt wären. «Kunst sind sichtbar gewordene Gedanken und Gefühle, die das Potenzial haben, andere zu berühren», sagt Bruno Späti.

Sein bildnerisches Schaffen scheint ihm, der täglich die Zeitung liest und sich intensiv mit dem Weltgeschehen befasst, eine gewisse Ruhe und Gelassenheit zu geben. Denn sein Leben verlief nicht immer nur in glücklichen Bahnen. Mit Jahrgang 1930 erlebte er den Zweiten Weltkrieg, vor ein paar Jahren starb einer der Söhne an Krebs, und nun ist seine Frau schwer krank. Bruno Späti wird, wenn es nach ihm geht, bis zu seinem letzten Tag gestalterisch tätig sein.

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