«Es braucht Mut, einen Patientenentscheid zu respektieren»

20.04.17

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Ursula Mani (45) hat als Hausärztin und alleinerziehende Mutter dicht gedrängte Tage. Dennoch ist ihr das zeitintensive Betreuen von Palliativpatientinnen und -patienten zu Hause eine Herzensangelegenheit. (Bild: sa)

Für Ursula Mani von der Praxis Central in Horgen ist der Wille der Patientinnen und Patienten das höchste Gut. Wenn jemand zu Hause sterben möchte, investiert sie viel Zeit und Idealismus.

Ursula Mani trägt ein lilafarbenes T-Shirt, eine weisse Hose und weisse Zoccoli. Sie wirkt jung, frisch und konzentriert. Als Hausärztin und alleinerziehende Mutter ist sie eingespannt, ihre Tage sind voll. Dennoch nimmt sie sich eine Mittagspause lang Zeit, um über ambulante Palliative Care zu sprechen. Das Begleiten von Menschen, die trotz schwerer Krankheit ihre allerletzte Lebensphase zu Hause verbringen möchten, ist ihr zur Herzensangelegenheit geworden. Das Gespräch dauert eine Stunde. Gegessen hat sie danach noch nicht. Bald kommt der nächste Patient.

«Mein Vater sagte: Jetzt will ich nicht mehr. Zehn Tage darauf ist er gestorben.»

Der Schlüsselmoment sei der Tod ihres Vaters im Sommer 2016 gewesen, gibt die 45-Jährige unumwunden zu. Es sei «würdevoll» so zu gehen, wie ihr Vater es getan habe. Nachdem alle Arten von Therapien nichts gegen seinen Prostatakrebs ausrichten konnten, betreuten sie und ihre Familie den 80-Jährigen zu Hause. Bis zuletzt sei er geistig fit gewesen. Sie kann den Tag nennen, an dem er sagte: «Jetzt will ich nicht mehr.» Zehn Tage darauf sei er – nach nur kurzer Bettlägerigkeit – gestorben. Das Team von Onko Plus, das bereits informiert war, habe es gar nicht mehr gebraucht.

Vorgemacht hatten es die Nachbarn der Eltern, die beide fast 90-jährig, ebenfalls daheim gestorben waren, betreut von ihrer Tochter, einer Pflegefachfrau. «Sehr glücklich» sei das abgelaufen. Das hat Mani beeindruckt.

 «Man ist dann der Arzt, der retten sollte und es nicht kann.»

Schon vor diesen persönlichen Erlebnissen stand für Ursula Mani etwas in ihrer Arbeit immer im Vordergrund: den Entscheid des Patienten zu respektieren. Sie erzählt von einem schwer kranken Mann, der zu ihr in die Praxis kam. Sie wollte ihn wegen seines schlechten Allgemeinzustands hospitalisieren, er lehnte dies jedoch vehement ab. Sie einigten sich schliesslich auf ein Telefongespräch am Nachmittag. Als sie ihn zu Hause anrief, war er nicht mehr erreichbar. Sie fuhr bei ihm vorbei und fand in zu Hause tot auf. «Es hat viel Mut dazu gehört, dieses Risiko zu tragen», sagt sie rückblickend. Richtig findet sie es immer noch.

Ursula Mani ist seit vier Jahren als Hausärztin in einer Praxis in Horgen tätig. Zuvor arbeitete sie vor allem in Akutspitälern. In ihrem allerersten Job als Assistenzärztin in der Anästhesie fuhr sie mit dem Krankenwagen als Rettungsärztin aus. Heute wäre das nicht mehr möglich. Sie und ihre Kollegen seien in schwierige Situationen «naiv reingeschickt worden». Schwere Unfälle. Kopfschüsse. «Man ist dann der Arzt, der retten sollte und es nicht kann.» Sie habe damals einige Menschen sterben sehen. Diese Zeit habe sie geprägt, habe sie Demut vor dem Leben und dem Tod gelehrt. «Vielleicht hilft mir das jetzt, besser loslassen zu können.» Würde sei in der Reanimation ein zentraler Begriff. «Wann hört man auf, jemanden wiederzubeleben?»

«Im Palliativsetting haben wir viel Zeit: Wir können uns auf verschiedene Situationen einstellen.»

Diese Erlebnisse haben Ursula Mani motiviert, Palliativpatienten zu betreuen. Im Gegensatz zur Rettungsmedizin habe man im palliativen Setting einen grossen zeitlichen Vorlauf: Man kann sich gut frühzeitig auf verschiedene Situationen einstellen. Den Massnahmenplan, der Krisensituationen und ihre jeweiligen medikamentösen Lösungen auflistet, erarbeiten Onko Plus und Hausärztin zusammen.

Nach dem Tod ihres Vaters betreute Ursula Mani einen Mann mit Bauchspeicheldrüsenkrebs, der bis zuletzt in seiner vertrauten Umgebung leben wollte. Ihn besuchte sie zum Schluss fast täglich zu Hause, im Wechsel mit Onko Plus. Diese Phase zog sich über vier bis fünf Wochen hin. Eine intensive Zeit auch für die Hausärztin.

«Ein Patient, den ich bis zum Tod begleiten soll, muss mich auch an sich heranlassen.»

Momentan betreut sie wieder einen Palliativpatienten, besucht ihn einmal in der Woche und unterhält sich mit ihm über seine Einstellung zum Leben und zum Sterben, weil sie ihn noch nicht so gut kennt. «Das hilft mir, wenn es dann irgendwann hart auf hart kommt.» Es sei ein Weg, den man zusammen mit dem Patienten gehe. Nötig sei auch eine gewisse Offenheit von seiner Seite. «Er muss mich an sich heranlassen.» Ihrerseits ist sie bereit, eine Portion Idealismus hineinzugeben. Will heissen: «Ich rechne nicht immer alles ab.» Diese Arbeit ist zeitintensiv, und es wäre unmöglich, eine solche Betreuung allen Patientinnen und Patienten zukommen zu lassen.

Würde. Schönheit. Wille. Mut. Ursula Mani braucht grosse Worte, wenn sie über Palliativmedizin spricht. Gefühlsduselig kommt sie einem dennoch nicht vor, sondern einfach begeistert.

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