Fragen über Fragen

07.10.20

Danke fürs Teilen.
Video-Kampagne

Seit Juli beantworten wir jeden Monat eine Frage rund um die spezialisierte Palliative Care. Wir veröffentlichen die Videos auf unseren Social-Media-Kanälen mit dem Ziel, dieses Angebot bekannter zu machen. Das sind die bisher erschienenen Filme.

In unserer Kampagne #FragedesMonats wollen wir auch mit Vorurteilen aufräumen, zum Beispiel damit, dass Palliative Care sich nur um Sterbende kümmert.

Ankie van Es, Palliativpflegefachfrau bei Palliaviva, beantworte diese Frage so: «Nein, Palliative Care ist nicht nur für Sterbende. Wir sind froh, wenn wir frühzeitig eine Beziehung aufbauen können, das nennt man Early Palliative Care. Dann können wir über die Zukunft reden, eine gute Patientenverfügung erstellen. Wenn dann die Symptomlast zunehmen würde, sind wir rechtzeitig dran und können versuchen, das miteinander zu besprechen und zu behandeln.»

Ein sehr inniger Moment, der mit viel Frieden verbunden ist.»
Monika Jaquenod, Palliativärztin

Viele Menschen sagen, sie hätten keine Angst vor dem Tod, aber sie fürchten sich vor dem Sterben, vor dem Weg also, der dahin führt.

Unsere Konsiliarärztin Monika Jaquenod sagt: «Diese Frage kann man fast nicht mit Ja oder Nein beantworten. Zum Sterben gehört ein ganzes Individuum, ein ganzes Leben. Ich rede von Palliativpatientinnen und -patienten, die wir ein Stück ihres Weges begleiten. Wir umhüllen sie, indem wir ihre Symptome lindern wie Schmerzen oder Atemnot. Daher haben unsere Patientinnen und Patienten wenige Leiden, und können sich, mit ihren Familien, gut vorbereiten aufs Sterben, friedlich vorbereiten. Und in der ganzen Schlussphase, wenn das Leiden zuvor gross war, besteht der Wunsch, endlich sterben zu dürfen und den Frieden zu suchen. Deshalb ist der Sterbeprozess auch ein sehr inniger Moment, der mit viel Frieden verbunden ist. Menschen, die eine Nahtoderfahrung gemacht haben, sehen häufig Licht am Ende des Tunnels. Ich kann zusammenfassend sagen: Heutzutage, betreut von Palliaviva, ist Sterben nicht mit Schmerz verbunden.»

Trauernden soll man besser Fragen stellen als Ratschläge erteilen.»
Evi Ketterer, Palliativpflegefachfrau

Evi Ketterer, Palliativpflegefachfrau: «Vor allem in den ersten zwei Monaten nach dem Todesfall ist es wichtig, sensibel auf die Trauernden zuzugehen und zu wissen, dass sie Worte auf die Goldwaage legen. Es empfiehlt sich daher, Fragen zu stellen, und mitfühlend auf die Antworten einzugehen. Da darf man dann auch direkt sein. Was sich gar nicht empfiehlt, sind Ratschläge. Ihnen zu sagen, wie es ihnen gehen sollte. Am Schlimmsten sind Floskeln wie „die Zeit heilt alle Wunden“.»

Darf man mit Schwerkranken auch Lachen? «Man muss! »

Im düsteren November, mitten in der zweiten Corona-Welle, war es uns ein Anliegen, einen Konterpunkt zu all dem Schweren zu setzen. Hat Humor eigentlich auch einen Platz in der Palliative Care, fragten wir den einzigen Mann in unserem Team. Olaf Schulz ist für seinen trockenen Humor und seine Vorliebe für bösartige Cartoons wie die von Gary Larson bekannt.

Die Frage, ob er mit seinen Patientinnen und Patienten auch lache, beantwortete Olaf Schulz ironisch mit «Niemals!», um sich dann vor Lachen zu kugeln.

Er findet Lachen sogar sehr wichtig, sagt er, «denn sonst sind wir schon tot.» Für Patientinnen und Patienten sei Humor oder Selbstironie oft die einfachste und schnellste Möglichkeit aus dem «Käfig» ihrer schweren Krankheit auszubrechen.

Als Beispiel erzählt er von einem Patienten, der voller Ungeduld regelmässig fragte, wann er sterbe. Nachdem Schulz merkte, dass eine ernsthafte Antwort – nämlich, dass wir das nicht wissen können –, nichts brachte, zog er das Humor-Register. Er schaute jeweils in seiner Agenda nach oder auf die Uhr, wenn der Patient in fragte, wann es so weit sei. Das brachte beide regelmässig zum Lachen und löste die Spannung, wenigstens kurzfristig.

Man hat den Angehörigen nicht gefragt, ob er diese Aufgabe übernehmen kann . Häufig ist es selbstverständlich und er macht es einfach.»
Liselotte Vogt, Palliativpflegende und Gründerin von Orbetan

Im Dezember widmeten wir uns den Angehörigen. In unserer Spenden-Kampagne legten wir ebenfalls den Fokus auf die Menschen, die meist freiwillig ein Familienmitglied oder einen Verwandten pflegen und in dieser Aufgabe oft an ihre Belastungsgrenze – und darüber hinaus – gehen.

Unsere Kollegin Liselotte Vogt hat sich quasi auf die Angehörigen spezialisiert und auch entsprechende Weiterbildungen absolviert. Sie erläutert im Interview, weshalb in der Palliative Care die Angehörigen eine wichtige Rolle spielen. Sie würden zum Patienten gehören, sie wüssten, was ihm guttue, und gerade, wenn er selbst sich nicht mehr äussern könne, seien sie oft unsere einzige Informationsquelle.

«Man hat den Angehörigen meist nicht gefragt, ob er diese Aufgabe übernehmen kann oder will. Häufig ist es selbstverständlich und er macht es einfach», sagt Vogt. Dabei verwende er seine ganze Energie für die Unterstützung des Kranken. Sie wolle den Angehörigen aber mit auf den Weg geben, dass sie das nicht alleine meistern müssten, sondern sich Unterstützung oder Entlastung holen könnten.

Vogt ist Gründerin und Geschäftsführerin der Stiftung Orbetan, die professionelle Nachtwachen in Palliativsituationen vermittelt, damit die Angehörigen auch wieder mal durchschlafen können.

Hoffnung hilft auch, Distanz zwischen mir und der Angst zu schaffen.»
Corinne Irniger, Palliativpflegende

«Hoffen ist wesentlich. Hoffen ist in unserem Menschsein verankert», sagt Corinne Irniger, Palliativpflegefachfrau bei Palliaviva, auf die Frage, weshalb Hoffnung bei unheilbar erkrankten Menschen eine immer noch wichtige Rolle spielt. Hoffnung helfe uns, uns auf etwas auszurichten, was für wertvoll für uns sei. «Hoffnung hilft auch, Distanz zwischen mir und der Angst zu schaffen.»

Irniger zeigt an einem konkreten Beispiel, was Hoffnung bei unheilbar erkrankten Menschen bewirken kann. Eine noch junge Patientin hoffte darauf, in der Biografie ihrer Kinder nicht vergessen zu gehen. Sie schrieb für jedes von ihnen Briefe, die sie bei speziellen Gelegenheiten lesen sollten, zum Beispiel wenn sie zum ersten Mal verliebt sein werden. «Das ist ein grossartiges Beispiel dafür, wie man Hoffnung auf etwas Positives richten und viel Kraft daraus schöpfen kann.»

Ist dein Beruf nicht mega traurig?

Diese Frage, ob die Tätigkeit in der Palliative Care nicht deprimierend sei, kriegen Fachpersonen oft gestellt. Unsere jüngste Kollegin Nadja Inderkum beantwortet sie so:

Auch wenn sie durchaus Trauriges erlebe, gebe es auch viele «schöne, versöhnliche und dankbare Momente zwischen Angehörigen und Patienten». Diese würden ihr auch viel positive Energie für ihr eigenes Leben geben, sagt Inderkum.

Und nun zu einem ganz, ganz anderen Thema: Stuhlgang.

Ich hatte schon Patienten, die wollten sterben. Als ich sie abgeführt hatte, wollten sie in die Ferien gehen.» Eveline Häberli, Palliativpflegefachfrau

«Stuhlgang macht uns fröhlich», sagt Eveline Häberli. Es werde allgemein unterschätzt, welchen Einfluss eine funktionierende Verdauung auf unser seelisches Befinden habe. Sie könne mit einfachen Mitteln sehr viel bewirken, sagt sie. «Ich hatte schon Patienten, die wollten sterben. Als ich sie abgeführt hatte, wollten sie in die Ferien gehen.»

Ihre Trefferquote sei sehr gut, denn: 85-90 Prozent der Menschen, die starke Schmerzmittel nehmen müssen, seien verstopft. Bei 30 Prozent von ihnen werde dieses Symptom nicht erkannt.

Bewusster geniessen

Die Arbeit in der Palliative Care verändert einen, sagt Palliaviva-Mitarbeiterin Amira Spahic. Sie lebe bewusster, geniesse intensiver, zum Beispiele schöne Momente oder Menschen, die sie gern habe.

Alles Materielle, was man vielleicht sammle und horte, und die Menschen, an die man sich klammere, müsse man eines Tages hergeben, ist sie überzeugt. «Damit wir mit einer Leichtigkeit von dieser Welt gehen können.»

Ist Palliative Care mehr Händehalten oder mehr Medizin?»

«Ich will diese beiden wichtigen Aspekte nicht gegeneinander ausspielen», sagt Palliativ-Pflegefachfrau-Karin Zimmermann. Palliative Care sei einerseits ein komplexes Gebiet der Medizin, in dem es darum gehe, die Lebensqualität von chronisch kranken Menschen möglichst hoch zu halten. Damit man Symptomen wie Schmerzen, Atemnot und Angst begegnen könne, brauche es Spezialwissen und eine entsprechende Ausbildung.

Berührungen seien in dieser Disziplin aber ebenso wichtig, wenn es darum gehe, Vertrauen zu schaffen oder Empathie zu zeigen. «Mit einer gezielten Berührung kann man sogar Symptome lindern wie Atemnot, Angst oder Unruhe.»

«Schwieriger» Schmerz

Eine unserer Followerinnen auf Twitter stellte folgende Frage: Gibt es Palliativpatientinnen und -patienten, deren Schmerzen man nicht auf ein erträgliches Mass reduzieren kann? Wenn ja, woran liegt es?

Schmerzspezialistin und Palliativ-Medizinerin Monika Jaquenod erläutert: «Schmerzen, die von ausgedehnten und ins Nervengewebe eingewachsene Tumore herrühren, sind schwierig zu behandeln. Ist der Tumor hingegen gut lokalisierbar, kann man den Schmerz mit einem Katheter – einer permanenten Zufuhr von Schmerzmitteln also – gut einstellen.

Der Ganzkörperschmerz (fachsprachlich: Total Pain) ist häufig ebenfalls schwierig in den Griff zu bekommen, weil hier auch psychologische Faktoren mitspielen. Eine reine Schmerztherapie greift hier zu kurz. Die psychologische und soziale Komponente muss mitbehandelt werden.

Prinzipiell ist zu sagen: Patientinnen und Patienten, die unter starken Schmerzen leiden, müssen von spezialisierten Palliative-Care-Teams behandelt werden. Ausserdem ist Kreativität nötig. Meist gelinge es auf diese Weise auch bei anfänglich grossen Schwierigkeiten die Schmerzen optimal einzustellen.»

Nach diesen Beiträgen, die wir alle im Palliaviva-Team gedreht haben, hatten wir Lust auf etwas Tapetenwechsel. Ab sofort beantworten auch Expertinnen und Experten unsere #FragendesMonats, die bei Organisationen oder Institutionen arbeiten, mit denen wir gut zusammenarbeiten. Ausserdem haben wir die Erscheinungshäufigkeit etwas gelockert. Wir veröffentlichen nur noch alle zwei Monate eins.

Die Checkliste für den Austritt

Im September gibt Markus Feuz, Pflegefachmann im Kompetenzzentrum Palliative Care des Universitätsspitals Zürich, Auskunft zur Frage, was es alles für einen Austritt nach Hause braucht. Sein Team müsse in diesem Fall Einiges abklären, zum Beispiel:

  • ist die Wohnung zugänglich für eine vielleicht gehbehinderte Person?
  • ist ein Pflegebett nötig?
  • können Angehörige die Pflege und Betreuung zu Hause übernehmen?
  • ist eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung nötig und gewährleistet?
  • macht die Hausärztin/der Hausarzt Hausbesuche?
  • muss die Spitex für Grundpflege und Medikamentenabgabe involviert werden?
  • braucht es ein spezialisiertes ambulantes Palliative-Care-Team?

Angehörigen rät er auch mal, einen Betreuungs-Plan zu erstellen für eine Woche mit jeweils drei Schichten pro Tag.

Notwendig sei auch ein medizinischer Notfallplan, in dem festgehalten ist, wie im Falle eines epileptischen Anfalls oder von starken Schmerzen reagiert werden soll. Ausserdem gelte es, ein tragfähiges Netz für den Support aufzubauen.

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