«Ich bin stolz, nun auch eine ‹Onko-Pluserin› zu sein»
06.09.17
Sabrina Küng hatte zuerst Hemmungen, sich bei Onko Plus zu bewerben: «Die Qualifikationen der Mitarbeitenden beeindruckten mich sehr.» Jetzt leistet sie Einsätze wie alle andern auch (Bilder: Ilona Schmidt).
Unsere neuste Mitarbeiterin, Sabrina Küng, berichtet von ihrem Start bei Onko Plus. Die Pflegefachfrau bringt Erfahrung aus der Onkologie mit. Die grosse Verantwortung, alleine unterwegs zu sein, aber auch Freude an der Arbeit und Dankbarkeit für die eigene Gesundheit prägten ihren Anfang.
Von Sabrina Küng
Wer im Kanton Zürich im onkologischen oder palliativen Bereich arbeitet – denke ich –, kennt Onko Plus. Mir jedenfalls war die Organisation seit Jahren ein Begriff. Ich war die letzten vier Jahre im ambulanten Onkologiebereich tätig. Zuvor auf der stationären Onkologie im Triemlispital. Regelmässig überwiesen wir Patienten an Onko Plus. Ich kann mich gut erinnern, dass ich beeindruckt von den jeweiligen Verlaufsberichten war, die uns nach den Besuchen von Onko Plus zugesandt wurden.
Nach der Geburt meines zweiten Sohnes im letzten November ergab sich anfangs Jahr die Möglichkeit, mich bei Onko-Plus-Geschäftsleiterin Ilona Schmidt vorstellen zu dürfen. Dazu kann ich sagen, dass mich diese Bewerbung schon etwas Überwindung gekostet hat. Als ich nämlich die Qualifikationen der Mitarbeiter anschaute, war ich nicht nur beeindruckt, sondern auch etwas gehemmt, mich als Mutter zweier kleiner Kinder und ohne ein Masterstudium zu bewerben. Aber, «wer nicht wagt, der nicht gewinnt», sagt man doch so schön.
«Zwei Stunden später starb er.»
Das Vorstellungsgespräch verlief positiv. Mein Interesse wuchs, und ich sah gespannt dem Schnuppertag entgegen. Den besagten Tag durfte ich mit Lea Furrer verbringen. Wir trafen uns in Oerlikon im Büro, bevor wir uns auf den Weg zu den zwei geplanten Einsätzen machten. Am linken Zürichseeufer gingen wir zu einem «notfallmässigen» Erstgespräch. Die Ehefrau öffnete uns die Tür und hatte bereits auf dem Weg in die Küche viele Fragen. Sie war sichtlich erleichtert, dass wir da waren. Der Patient lag im Leberkoma und wurde von seiner Ehefrau einfühlsam gepflegt. Der Patient selber benötigte unsere Unterstützung nur am Rande, im Fokus stand die Beratung der Ehefrau. Nach 75 Minuten verliessen wir das Zuhause des Ehepaars, nicht ahnend, dass der Mann gerade mal zwei Stunden später sterben würde.
Nachdem der zweite Einsatz ausfiel, machten wir uns auf den Weg zurück nach Oerlikon. So hatte ich Gelegenheit, Lea Furrer viele Fragen stellen zu können. Das Tätigkeitsfeld einer Onko-Plus-Pflegenden war definitiv etwas für mich. Nur – liess es sich vor allem wegen des Pikett-Dienstes mit meiner Familie vereinbaren? Ich besprach dies mit meiner Familie und sah, dass es mit der vorhandenen Unterstützung klappen sollte. Einen Tag später freute ich mich über die Nachricht, dass das Interesse auf beiden Seiten da war. Im Mai begann ich 60 Prozent zu arbeiten und ab Juni 40 Prozent.
Der Mai kam schnell, und ich sah dem Start bei meinem neuen Arbeitgeber mit viel Neugier entgegen. Die Einarbeitungszeit von einem Monat wurde sorgfältig vorbereitet. Während des ganzen Monats wurde ich zusätzlich und jeweils mit einer anderen Pflegefachperson eingeplant. Wir besuchten Patienten im Spital, im Pflegeheim oder, wie die meisten, im eigenen Zuhause. Die Patienten befanden sich in verschiedenen Krankheitsstadien. Einige waren noch aktiv, und die Krankheit liess noch viele alltägliche oder auch nicht-alltägliche Aktivitäten zu. Andere wurden durch das Fortschreiten der Krankheit mehr eingeschränkt. Es war besonders interessant zu sehen, wie meine neuen Arbeitskollegen arbeiteten. Ich durfte viel beobachten und auch mitwirken. Jeder von ihnen hat ein grosses Fachwissen und erwies sich als engagiert im Berufsalltag.
«Hab ich die Infusionspumpe wirklich korrekt eingestellt?»
Der Mai verging schnell, und Anfang Juni startete ich an einem Montag mit meinen ersten zwei Einsätzen. Eine leichte Anspannung war in mir, aber dank der guten Planung unserer guten Seele Sonja Hug waren es relativ stabile Patientensituationen. Kurze Zeit später folgte mein erster Pikettdienst. Dieser schliesst an den Spätdienst an und dauert bis am Morgen. Ich hatte einen Einsatz bei einer jungen Patientin mit einem Schmerzkatheter im Rückenmark. Vor Ort richtete ich die Medikamente für die Infusionspumpe und setzte diese wieder ein. Auch erneuerte ich den Verband des sogenannten intrathekalen Katheters. Im Fokus standen aber auch die aktuellen Schwierigkeiten und das Erleben beziehungsweise der Umgang mit der Situation. Dabei ging es auch mal heiter zu, und wir sprachen über ganz alltägliche Dinge. Meine Verantwortung wurde mir auf dem Rückweg schlagartig bewusst, als ich mich fragte: Habe ich die Infusionspumpe wirklich korrekt eingestellt? Ich wusste, dass ich es zweimal kontrolliert hatte. Aber stimmte es wirklich?
Kaum hatte ich meine Bedenken widerlegt, klingelte mitten im Feierabendverkehr das Natel. Via Lautsprechanlage meldete sich eine besorgte Ehefrau. Ihr Mann stöhne vor Schmerzen, sei unruhig und verwirrt. Frau L. bat mich, vorbeizukommen. Am Telefon empfahl ich ihr, nochmals Medikamente gegen die Schmerzen zu spritzen. So kehrte ich um, fuhr Richtung Zürcher Oberland und verabschiedete mich vom Gedanken, meine Kinder noch wach zu sehen. Nach dreissig Minuten Fahrzeit erreichte ich die wartende Ehefrau. Sie erzählte von den vergangenen Stunden, auch dass der an Blasenkrebs leidende Mann Blut im Urin hatte. Der gross gewachsene Mann Mitte fünfzig reagierte kaum auf mich. Frau L. hatte sich am Massnahmenplan orientiert, den jeder Onko-Plus Patient besitzt. Die verabreichten Medikamentendosierungen schienen aber offensichtlich nicht zu genügen. Sie erzählte vom Krankheitsverlauf in den letzten Wochen und der aktuell laufenden Immuntherapie. Hm… Der Mann hat also noch eine Therapie! Für mich stellte sich die Frage, ob er dann sterben «durfte», oder ob man ihn ins Spital einliefern sollte? Der Wunsch von Herr L. sei, zu Hause sterben zu können, und er hatte während der letzten Tage auch geäussert, dass er sterben möchte.
«Ich bemerkte, dass sie in ihre Rolle als pflegende Angehörige hineingewachsen war.»
Während der Probezeit hatte ich im Pikettdienst immer eine Ansprechperson: Meine Kollegin Nicole Rieser und ich besprachen die Situation am Telefon. Der Ehefrau notierte ich die Medikamente, die sie geben durfte und zog diese portioniert in Spritzen auf. Sie hatte das Handling der sogenannten «subkutanen Injektion» im Griff und auch sonst bemerkte ich, dass sie in ihre Rolle als pflegende Angehörige hineingewachsen war. Sie pflegte ihren Mann liebevoll und mit grosser Hingabe.
Unterdessen schienen die Medikamente etwas Wirkung zu zeigen. Der Mann wurde ruhiger, und seine Gesichtszüge entspannten sich. Für die darauffolgende Nacht konnte ich über die Stiftung Orbetan eine Nachtwache organisieren. Dies zur Entlastung der Familie, die den ganzen Tag sehr gefordert war.
Nach gut zwei Stunden verliess ich das Haus.
«Meine Jungs im Schlaf zu beobachten, war Seelenbalsam nach diesem Notfalleinsatz.»
Zuhause angekommen, schliefen meine zwei Jungs schon. In ihrem Zimmer zu stehen und sie beim Schlafen zu beobachten, war nach diesem Notfalleinsatz Seelenbalsam. Die Nacht war ruhig, es kam kein Telefonanruf. Nur der eine, als ich mich selber auf die Pikettnummer anrief, um sicher zu sein, dass sie funktionierte. Am folgenden Morgen nahm ich nochmals Kontakt mit Frau L. auf. Die Nacht sei ok gewesen, aber verbesserungswürdig. Die Unruhe und Schmerzen hielten an. Wir vereinbarten, dass am Nachmittag nochmals eine Pflegende von Onko Plus vorbeikommen würde. Inzwischen hatte sich unsere Konsiliarärztin bei Frau L. gemeldet. Herr L. bekam eine Infusionspumpe mit Schmerz- und Beruhigungsmitteln und verstarb fünf Tage später ganz friedlich.
Nun bin ich bereits vier Monate bei Onko Plus, und die Arbeit fordert mich weiterhin sehr. Mein onkologisches Fachwissen hilft mir, aber das Kerngebiet der Onko Plus ist die Palliative Care, und da kann ich noch viel lernen. Dieser Gebietswechsel war mir zu Beginn nicht so bewusst, und dennoch gefällt mir meine neue Arbeit sehr. Sie ist anspruchsvoll, gibt mir aber viel Befriedigung und Freude. Sie lässt mich noch dankbarer sein für mein Leben als gesunder Mensch. Mein Beruf ist Lebensschule und ich lerne gerne!
Ich möchte mich bei meinen neuen Teamkollegen bedanken. Ihr ALLE habt meinen Einstieg bei Onko Plus unterstützt, in dem ihr mir situativ immer wieder euer Wissen weitergegeben oder auch einfach mal nur zugehört habt, wenn ich von einem Einsatz berichtete. Ich bin stolz, nun auch eine «Onko-Pluserin» zu sein :-).
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