Protokoll einer Liebe

23.12.20

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Viele Angehörige gehen bei der Pflege eines schwerkranken Menschen an ihre Belastungsgrenze und sogar darüber hinaus. Wie Walter Vogelbacher. Er hat seine Frau mit viel Hingabe und Organisationstalent unterstützt.

Walter Vogelbacher ist Treuhänder. Vor seiner Pensionierung führte er sein eigenes Büro mit vier Angestellten, unter anderem arbeitete er für KMU-ähnliche Betriebe und Privatpersonen. Seine Frau Florentina arbeitete von zu Hause aus ebenfalls in seiner Firma mit, neben ihren Hausfrauen- und Mutterpflichten. «Sie hat immer alles piccobello gemacht», sagt ihr Mann mit bewegter Stimme.

Am 2. April ist Florentina Vogelbacher zu Hause gestorben, wie sie es sich gewünscht hatte. Ihr Mann begleitete und unterstützte sie dabei Tag und Nacht sehr eng. «Ich hab nur noch funktioniert», sagt er rückblickend.

Zur Vorbereitung für unser Gespräch erbat sich der 77-Jährige die Fragen, die ich stellen würde. Als wir uns in seiner Küche unterhalten, hat er seine ausgedruckten Antworten vor sich wie eine Art Protokoll, Schwarz auf Weiss. Am Vorformulierten kann er sich halten. Trotzdem kommen ihm häufig die Tränen, wenn er über seine Frau spricht, und er entschuldigt sich dafür.

Fast fünfzig Jahre

Die beiden hätten diesen Sommer goldene Hochzeit gefeiert, nach 50 Jahren Ehe. Florentina war in einem Bergdorf im Val Lumnezia aufgewachsen, zusammen mit neun Geschwistern. Weil die Familie so arm war, mussten die Kinder ihr Zuhause früh verlassen, um auswärts Geld zu verdienen. Florentina hatte verschiedene Stellen im Verkauf und Service hinter sich, als sie als 29-jährige Kellnerin im Hotel Engel in Wädenswil Walter kennenlernte. Er war damals Präsident des lokalen Turnvereins. Der Verein traf sich im Hotel jeweils zum geselligen Beisammensein.

Florentina und Walter waren ein hübsches Paar, ein perfektes Team, eine Symbiose. Sie bekamen einen Sohn und eine Tochter und später drei Enkel.

Florentinas Gesundheit trübte das idyllische Bild: Sie litt schon seit Jahrzehnten unter Muskelschwund. Dieser bescherte ihr zwar keine Schmerzen, liess sie aber immer schwächer werden.

Vor vier Jahren erlitt Florentina einen Herzinfarkt, von dem sie sich aber relativ gut erholte. Als sie im Frühling 2019 hingegen wegen einer Harnweginfektion und Darmblutungen ins Spital und später in die Reha musste, «erholte sie sich nie mehr 100-prozentig», erzählt ihr Mann am Küchentisch.

Spitex hat riesige Arbeit geleistet!!!!!!»
Notiz von Walter Vogelbacher, Witwer

Im Januar 2020 kam Lungenkrebs dazu. In Walter Vogelbachers Protokoll steht: «7.-14.2. wieder Spitalaufenthalt.» Für Chemo- und Bestrahlungstherapie sei Florentina zu schwach gewesen, ausserdem habe sie die Behandlungen nicht mehr gewollt. Der Sozialdienst des Spitals Horgen riet den Vogelbachers, Palliaviva hinzuzuholen. Die Spitex half bereits einmal in der Woche beim Duschen. Später, als die Patientin in den letzten Wochen bettlägerig war, kam die Spitex zwei Mal pro Tag vorbei für die Körperpflege. Er habe diese Besuche meist herbeigesehnt, sagt Walter Vogelbacher. «Spitex hat riesige Arbeit geleistet», steht im Protokoll. Dahinter sechs Ausrufezeichen.

Palliativpflegefachfrau Evi Ketterer von Palliaviva war die Verbindung zum Hausarzt, weil dieser keine Hausbesuche machte. Als die Patientin zum Beispiel Wasser auf der Lunge hatte, machte sie sich dafür stark, dass man der Patientin im Spital die Flüssigkeit absaugte und eine Drainage legte, mit der die Spitex auch zu Hause die Flüssigkeit alle paar Tage ablassen konnte. Ausserdem kümmerte sie sich, in Absprache mit dem Hausarzt, um Anpassungen bei den Medikamenten. So umsorgt zu sein, sei für seine Frau und ihn «sehr wichtig und beruhigend» gewesen.

Es war ein richtiges Teamwork.»
Walter Vogelbacher, pflegender Ehemann

Evi Ketterer vermittelte auch den Palliativseelsorger Volker Schmitt, der die Vogelbachers zu Hause besuchte. Seine Frau sei katholisch und «recht gläubig» gewesen, sagt Walter. Er selbst sei reformiert und auch gläubig erzogen worden. Die einfühlsame Begleitung durch den Seelsorger habe ihnen beiden geholfen. Schmitt leitete dann auch die Trauerfeier, die coronabedingt in ganz engem Rahmen stattgefunden hat.

Spitex, Hausarzt, Seelsorger, Palliaviva. «Es war ein richtiges Teamwork», schreibt Walter Vogelbacher in seinen säuberlichen Notizen. Er erzählt, wie viel ihm der unkomplizierte Support dieser Betreuungspersonen und die vielen Erklärungen gebracht hätten. «Man versteht selber nichts, will aber auch niemandem zur Last fallen.»

Walter Vogelbacher ist froh, dass seine Frau zu Hause sterben konnte, während der Pandemie hätte er sie im Spital oder einen Pflegeheim nur erschwert besuchen können. Dabei überschritt er, ohne es zu merken, seine eigene Belastungsgrenze wohl mehrfach. Während der Krankheit sei er immer auf Trab gewesen, erzählt er. Auch nach dem Tod hätten ihn die Verpflichtungen wie die amtlichen Aufgaben, die Beisetzung und die Nachlassregelung weiterhin ausgelastet. Im Sommer – als das Gröbste erledigt war – fiel er in ein Loch. Der Hausarzt habe ihm mit einem leichten Medikament helfen können. Ausserdem versuche er, eine Tagesstruktur einzuhalten, treffe Kollegen, telefoniere mit Freunden.

Engen Kontakt hält Walter Vogelbacher ausserdem zu seinem Sohn, der Schwiegertochter und der Enkelin. Sie hätten ihn und seine Frau auch immer moralisch unterstützt.

Frau und Tochter im gleichen Grab

Walter Vogelbachers Tochter starb vor drei Jahren an Krebs und liess zwei Kinder im Alter von zehn und zwölf Jahren zurück. Auch zu diesen Enkeln hält der Grossvater engen Kontakt.

Der Treuhänder arbeitet auch noch. Wenige Mandate habe er behalten. Ausserdem gibt’s auch immer etwas rund ums Haus zu tun. Zudem geht der Witwer einmal pro Woche auf den Friedhof. Dort ist seine Frau im gleichen Grab wie seine Tochter beigesetzt. Er bedankt sich dann bei beiden dafür, was sie für ihn und ihre Familien alles getan haben.

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