«Es braucht manchmal wenig, um viel zu erreichen»
27.01.25

David Blum ist eine der jüngeren, prägenden Figuren der Palliativmedizin in der deutschen Schweiz. Er und seine Teams sind wichtige Partner von Palliaviva. Blum empfindet die Arbeit auf Palliativstationen in Zürcher Spitälern als spannende und dankbare Aufgabe.
Der Austausch von Palliaviva mit den Palliativabteilungen ist eng. Schwer kranke Patientinnen und Patienten, die in einem Spital waren, kehren nach Hause zurück, brauchen vielleicht Unterstützung durch die Spitex mit Ergänzung durch das Palliaviva-Team. Denn Schmerzen und andere Symptome der Krankheit sollen auch daheim gut kontrolliert sein.
Andere Betroffene wurden bereits durch Palliaviva zu Hause betreut, wenn eine Krise plötzlich einen Spitalaufenthalt nötig macht. Oft ist das nur vorübergehend. Eine Krise können akute Schmerzen sein, die abgeklärt werden müssen, ein Delir oder auch eine Fieberepisode, deren Ursache unklar ist. Manchmal stossen auch die Angehörigen an Grenzen und brauchen eine Phase der Entlastung.
Eine Patientin mit Fieber unklarer Herkunft ist gerade im Universitätsspital Zürich (USZ) hospitalisiert, als David Blum an diesem Morgen seinen Dienst antritt. Er wird sie später auf der Visite in ihrem Zimmer besuchen. Blum ist ärztlicher Leiter des Kompetenzzentrums Palliative Care im USZ und leitet auch das Zentrum für Palliative Care des Stadtspitals Zürich. Die beiden Kliniken haben eine entsprechende Kooperation vereinbart.
Junge Patientinnen und Patienten
Die Palliativabteilung im USZ befindet sich im Hauptgebäude an der Rämistrasse. «Die Wände bei uns sind gelb gestrichen, anders als im übrigen Universitätsspital», sagt David Blum auf dem Weg zum Stationszimmer. Die gelbe Farbe soll zu einer weniger spitaltypischen Atmosphäre beitragen, wie der Arzt erklärt. Acht Betten umfasst die Palliativstation hier, und alle sind fast immer belegt.
«Wir haben erschreckend viele junge Patientinnen und Patienten», führt David Blum aus und rückt damit das Vorurteil zurecht, Palliative Care betreffe fast ausschliesslich alte Menschen. Auch die plakative – und falsche – Meinung, Palliative Care bedeute nur «Händchen zu halten und eine Kerze anzuzünden», korrigiert der Palliativmediziner. «Palliative Care ist ein breites, multidimensionales Gebiet, das unheimlich spannend ist.»
Aus der Überzeugung, wie wichtig Palliative Care ist und wie viel sie unheilbar kranken Menschen bringen kann, engagiert sich David Blum in der Forschung. Ein aktuelles Projekt, an dem er und das USZ beteiligt sind, ist etwa eine Studie mit LSD, für die noch schwer kranke Menschen als Teilnehmende gesucht werden. Er forscht aber auch zu digitalen Kommunikationsmitteln, die den Informationsaustausch zwischen Ärzteschaft, Pflege und Betroffenen verbessern können, oder zu Bewegung und Ernährung.
Wie weiter nach dem Spital?
Dieser Tag im USZ beginnt wie immer mit dem Morgenrapport, an dem sich alle Mitarbeitenden der Abteilung auf den neusten Stand bringen. Einige Rundtisch-Gespräche sind geplant, bei denen es meist um die Perspektiven der Patientinnen und Patienten geht: Können sie nach dem Spitalaufenthalt nach Hause zurückkehren? Brauchen sie die Spitex und einen spezialisierten Dienst wie Palliaviva? Treten sie in ein Pflegeheim oder ein Hospiz ein? Oder ist gar kein Austritt mehr möglich?
Bei manchen hat sich der Zustand so sehr verschlechtert, dass sie bald sterben: Auch das ist eine traurige Realität. In der Nacht davor ist gerade eine Patientin auf der Station gestorben. David Blum: «Man lässt den Angehörigen nun Zeit, um sich zu verabschieden. Es wird kein Druck ausgeübt: auch das gehört zur Palliative Care.»
Nach dem Morgenrapport beginnt für den ärztlichen Leiter die Visite. David Blum, die Assistenzärztin und die jeweils zuständige Pflegefachperson besprechen sich im Stationszimmer. Sie befassen sich mit der Situation und den Bedürfnissen jeder einzelnen Patientin und jedes Patienten, bevor sie zu ihnen ins Zimmer gehen. Dazwischen kehren sie jedes Mal ins Stationszimmer zurück.
Auf der Visite besuchen sie auch die Patientin, die wegen Fieber ins Spital kam. Sie leidet an Krebs und wird bestrahlt. Sie ist über siebzig, und ihr Wunsch ist es, nach dem Klinikaufenthalt wieder nach Hause zurückzukehren. «Mein Mann schaut zu mir», erklärt sie, und Blum fragt, ob der Mann nicht überlastet sei. Die Frau schüttelt den Kopf und antwortet: «Nach dem letzten Spitalaufenthalt ging ich auch wieder nach Hause, und ich kann ja auch helfen.»

David Blum mit seiner Kollegin Kathrin Werner bei der Visite im Universitätsspital Zürich.
Ausgeschlagene Zähne
Ein anderer Patient ist knapp über vierzig und leidet unter einem bösartigen Tumorleiden mit Metastasen. Da er fast nichts isst und trinkt, fühlt er sich schwach. Er ist alleine zu Hause gestürzt und hat sich mehrere Zähne ausgeschlagen. Der Beizug eines Zahnarztes ist ein Thema. David Blum bespricht zudem mit dem Patienten, dass die Ernährungsberatung beigezogen wird.
Diese Zusammenarbeit mit Fachleuten aus anderen Berufen und Disziplinen gefalle ihm sehr, sagt der Palliativmediziner später, nach der Visite. Viele Patientinnen und Patienten kämen stark belastet durch psychisches und physisches Leid auf die Station. Zur Palliative Care gehöre es, ihnen gut zuzuhören und auf ihre individuellen Bedürfnisse einzugehen. David Blum findet: «Es braucht manchmal wenig, um viel zu erreichen.»
Der Arzt, der neben Palliative Care auch Onkologie und Innere Medizin zu seinen Spezialgebieten zählt, ist Familienvater und hat zwei Kinder. Die Balance zwischen Privat- und Berufsleben gelingt ihm nach eigener Einschätzung gut. Seine Arbeit, die mitunter traurige und schwere Momente mit sich bringt, prägt allerdings durchaus seine Einstellung zum Leben: «Ich habe gelernt, dass man – und auch ich – nicht zu viele Dinge aufschieben sollte.»
Die Reportage gibt es hier als Podcast zu hören.
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