«Und immer wieder diese Hoffnung»
21.01.19
Irène* hat ihren Mann Hartmut* vier Jahre lang durch einen aufreibenden Kampf gegen den Krebs und die Nebenwirkungen zahlreicher Behandlungen begleitet.
Irène möchte, dass andere Betroffenen hören, «wie wichtig die Unterstützung durch die Spitex und Onko Plus ist». Die Witwe von Hartmut, der am 11. April 2018 gestorben ist, half das Wissen, dass rund um die Uhr eine Fachperson erreichbar wäre, sieben Tage die Woche. Sie war froh, dass sie einen Notfallplan hatte, in dem alle Medikamente aufgelistet waren, die sie dem Patienten hätte verabreichen können. Ihr half die Klarheit, mit der Onko-Plus-Mitarbeiter Olaf Schulz ihren Mann und sie informierte. «Ich wäre froh gewesen, wenn ich die Beratung und Betreuung schon früher gehabt hätte», sagte sie.
Vier Jahre hatte Hartmuts Leidensweg gedauert. Die Hoffnung habe ihm immer wieder die Kraft gegeben, weiter zu machen. Anfang 2014 wurde bei ihm ein Nierenzelltumor diagnostiziert und in einer Operation entfernt. Ein Jahr später kehrte der Krebs zurück. Die Niere musste ganz entfernt werden. «Der Tumor hatte schon die vena cava, die Hohlvene, erwischt.» Dank ihrer medizinischen Kenntnisse als ehemalige Diabetes-Fachfrau konnte sie ihrem Mann beratend zur Seite stehen. Dazu holte Hartmut bei einem befreundeten Onkologen in Wien Zweitmeinungen ein.
«In all diesen Jahren habe ich gelernt, mich bei den Ärzten durchzusetzen.»
Irène, Witwe von Hartmut
Auf die Entfernung der Niere folgte eine Komplikation und Hartmut war wochenlang in der Kur. Das Paar musste eine geplante Reise nach Bhutan und Kambodscha absagen. Bei der Kontrolle drei Monate später hiess es, «alles ist ok». Aber woher rührten denn die Schmerzen im Becken? Nach mehrmaligen Drängen des Patienten und seiner Frau kriegten sie den Bericht zu lesen. Hartmut hatte Knochenmetastasen im linken Hüftbecken. «In all diesen Jahren habe ich gelernt, mich bei den Ärzten durchzusetzen», blickt Irène zurück.
Gegen die Knochenmetastasen wurde eine moderne Methode angewandt, die sogenannte Mikrowellenablation. Hitze sollte die Metastasen zerstören, eine Zementfüllung den Knochen stabilisieren. Das sei die Rettung, dachte Hartmut und Irène. «Immer wieder war da diese Hoffnung», sagte sie. Bald hiess es jedoch, es sei eine Chemotherapie nötig. Einen Monat ertrug der Patient diese gut, aber gerade als Irène einige Tage in den Walliser Bergen verbrachte, ging es ihm frappant schlechter Sie fand ihn «schneeweiss» und mit acht Kilogramm Körpergewicht weniger vor, als sie zurückkam. Die Chemo wurde abgesetzt. Dann versuchte man es mit Bestrahlungen. 14 Mal musste Hartmut die Prozedur über sich ergehen lassen. «Freunde fuhren ihn jeweils in die Klinik», erzählt sie.
Ihr Mann sei selbst ein hilfsbereiter Mensch gewesen, der selbstlos jeden unterstützte, der juristische Hilfe nötig hatte.
In der Krankengeschichte befinden wir uns jetzt im Januar 2017. Hartmut ging am Stock und hatte unendliche Schmerzen in der Hüfte. Dann folgte eine weitere Computertomographie. Bei dieser Untersuchung stellten die Ärzte fest, dass Hartmuts Becken unterhalb der Mikrowellenablation gebrochen war. Ein orthopädischer Chirurg operierte das Ganze mit viel Schrauben kunstvoll zusammen. In der Rehaklinik stürzte Hartmut am zweiten Tag. Als Folge davon bildete sich ein grosses Hämatom in der Operations-Wunde. Dieses musste nach zwei Wochen operativ ausgeräumt und die damit verbundene Infektion mit hochdosierten Antibiotika behandelt werden.
«Palliativ-Pflegefachmann Olaf Schulz machte meinem Mann klar, dass man den Körper, ähnlich einem Auto, eines Tages nicht mehr reparieren kann.»
Jetzt war definitiv der Zeitpunkt gekommen, wo die Spitex ins Spiel kam. Hartmut brauchte täglich Antibiotika-Infusionen. Die Spitex schlug dem Ehepaar die zusätzliche Unterstützung durch Onko Plus vor.
Olaf Schulz kam zuerst alle 14 Tage vorbei. Am Anfang hätten er und ihr Mann neben der Symptomkontrolle vor allem medizinische Berichte gewälzt. Der Pflegefachmann fragte ihren Mann immer wieder, was er denn selbst wolle. Er habe auch klar gemacht, «dass man den Körper, ähnlich einem Auto, eines Tages nicht mehr reparieren kann».
Im November 2017 stellte man fest, dass Hartmuts Brustbein gebrochen war. Der Hausarzt hatte nicht einmal geröntgt. Nach der Operation wurde wiederum mit einer Chemotherapie begonnen, zwei Wochen danach setzte man sie wieder ab, weil der Patient sie nicht gut vertrug. Eine Immuntherapie hingegen schlug recht gut an. Nach einem nächsten Check zeigten sich die Metastasten in den Knochen zwar stabil, ebenso jene in der Lunge. Der Schock aber war, dass sich neu auch Metastasen in der Leber gebildet hatten. Ihr Mann habe wieder nach Wien geschrieben, nach weiteren Möglichkeiten gefragt. Als man die nächste Chemo-Stufe ausprobierte, erlitt er am ganzen Körper kleine Blutungen, sogar in den Augen, erzählte sie.
«Nächtelang habe ich ihn gehalten, denn seine Ängste kamen in der Nacht. So konnte ich ihn beruhigen.»
Hartmut entschied sich, die kurativen Therapien zu stoppen. Um sein Blutbild mittels Transfusionen zu verbessern, kam er auf die Palliativstation im Spital Affoltern am Albis, in die «Villa Sonnenberg». Dort habe er sich recht gut erholt, erzählte seine Frau. Die weiteren Bluttransfusionen überforderten den Körper dann aber eher.
Wieder zu Hause betreute Irène ihren Mann, der jetzt im Rollstuhl sass, mit Unterstützung der Spitex und von Onko Plus. Sie brachte ihm wie zuvor jeden Morgen das Frühstück an Bett. Sie zelebrierten zusammen das English Breakfast mit Rührei, das er so liebte. Sie machten kleine Ausflüge, zum Albishaus und an den Zugersee. Sie genossen die ihnen verbleibende Zeit zusammen so gut sie konnten. Körperliche Nähe war ihm sehr wichtig. «Nächtelang habe ich ihn gehalten, denn seine Ängste kamen in der Nacht. So konnte ich ihn beruhigen.»
Drei Wochen vor seinem Tod berief der nach seiner Pensionierung frei praktizierende Jurist eine letzte Sitzung ein. Er hatte noch einen Fall offen und bat die andere Partei zu sich nach Hause. Obwohl Hartmut sterbenskrank war, führte er souverän durch die Besprechung. «Am Schluss lieferte er eine glasklare Zusammenfassung des Falles, der bereits sechs Jahre andauerte.»
In seinen letzten Lebenswochen hingegen war Hartmut nicht mehr klar, sondern verwirrt und manchmal aggressiv. Er hatte Angst, im Schlaf zu sterben. Am Karfreitag wollte er einen Besuch seines Hausarztes. Man sollte ihm erklären, weshalb er seit sechs Wochen nicht mehr gehen könne. Am Telefon erklärte ihm eine Mitarbeiterin von Onko Plus schliesslich, dass seine Krankheit, der Krebs, die Immobilität verursache. Mit dieser Auskunft zeigte er sich zufrieden.
«Hätte ich selbst Krebs, ich würd e mich nur auf Morphin und Onko Plus verlassen.»
Schliesslich musst er wieder in die «Villa» eingewiesen werden. «Ich war am Ende meiner Kräfte», sagt Irène. Am Montag überlegten die Ärzte noch, ob man Hartmut ins CT schieben will. Sie vermuteten eine Fraktur im Halswirbelbereich. Aufgrund seines schlechten Allgemeinzustands aber sahen sie davon ab und verabreichten ihm die Schmerzmittel über eine Pumpe. Am Dienstag sei noch «alles normal» gewesen, rapportiert sie. Am Mittwoch frühstückte er ein letztes Mal. Danach verschlechterte sich sein Allgemeinzustand rapid.
Irène holt eine CD hervor, die Oper «Mosè in Egitto» von Rossini. Diese Musik habe sie ihm vorgespielt, als er im Sterben lag. Gnädiger Gott, hilf uns! Heisst es im Gebet, habe Mitleid mit deinen Kindern! Zeige einen Ausweg! Die gemeinsame Freude zur Musik, war ein tragendes Element in ihrer Beziehung gewesen.
Bei dieser Musik starb Hartmut am Mittwochabend leise und friedlich. Irène wischt sich die Tränen ab, als sie das erzählt, lächelt aber auch. Es sei ein grosser Trost für sie, zu wissen, dass er keine Schmerzen mehr haben müsse und Frieden gefunden habe. In tiefer Verbundenheit konnte sie ihn gehen lassen.
Hätte sie selbst Krebs, sagte sie zum Schluss, würde sie sich «nur auf Morphin und Onko Plus verlassen».
* Namen geändert.