Was Suchtmedizin mit Palliative Care zu tun hat

01.04.24

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Schmerzmedikamente

Süchtige Menschen können auch chronisch krank sein, genauso wie jemand, der an einem fortgeschrittenen Krebs oder einer anderen unheilbaren Krankheit leidet. Kommt beides zusammen, kann es richtig kompliziert werden.

Palliative Care und die moderne Suchtmedizin haben vieles gemeinsam. Die Konzepte sind vergleichbar: In beiden Bereichen geht es darum, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern oder so lange wie möglich zu erhalten. Und in beiden Bereichen spielen Medikamente eine wichtige Rolle.

«Wir sind als interdisziplinäres Team auch palliativ tätig», sagte Roberto Pirrotta, leitender Arzt beim Stadtärztlichen Dienst Zürich, kürzlich an einer Weiterbildung der SPaC-Teams. «Auch wir behandeln viele unserer Patientinnen und Patienten nicht kurativ, sondern palliativ.» Dem Verein SPaC gehören vier mobile Palliative-Care-Organisationen an, darunter Palliaviva. An konkreten Beispielen kristallisierten sich an der Weiterbildung einige Überschneidungen zwischen Palliative Care und Suchtmedizin heraus.

Roberto Pirrotta, leitender Arzt und Suchtmediziner beim Stadtärztlichen Dienst Zürich.

Roberto Pirrotta

Angst vor erneuter Sucht

So erzählte eine der spezialisierten Palliativ-Pflegefachpersonen von einem ehemals drogensüchtigen Patienten, bei dem ein Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert worden war. «Er litt an massivsten Schmerzen, die sich nur schwer behandeln liessen», sagte sie. Dies hing unter anderem damit zusammen, dass sich der Patient aus seiner Suchterfahrung heraus zunächst gegen eine Schmerzpumpe mit Opioiden sträubte.

Seine Haltung war nachvollziehbar: Vor Jahren hatte er den Entzug geschafft und war seither clean. Nun hatte er Angst, wieder süchtig zu werden. «Er sagte sich, ich will doch nicht wie ein Süchtiger sterben», schilderte die Pflegefachfrau. Sie habe sich intensiv mit der Person auseinandergesetzt. «Ich spürte eine grosse Einsamkeit.» Gespräche hätten geholfen, dass er sich verstanden gefühlt und schliesslich eine Schmerztherapie auf einer Palliativstation angenommen habe.

Eine andere Pflegefachfrau erzählte von einer Patientin mit einer schweren chronischen Lungenkrankheit, die sehr hoch dosiert das Schmerzmittel Fentanyl erhalte, allerdings auch unter starken Nebenwirkungen leide. Im Team haben sie sich gefragt: «Wie bringt man sie wieder davon weg?» Das Fentanyl bringe zwar Linderung, doch bleibe bei ihr das Gefühl, ein zusätzliches Problem geschaffen und eine Sucht begünstigt zu haben.

Schmerzen durch Entzug

Die Machtlosigkeit, die in dieser Situation aufkommen kann, ist für Roberto Pirrotta verständlich. Eine Lösung in diesem konkreten Fall konnte er auf die Schnelle freilich auch nicht präsentieren. Er empfahl aber, Problematiken wie diese im Team immer wieder zu diskutieren und neu zu beurteilen.

Der Arzt ist häufig mit ähnlichen Situationen konfrontiert. So erzählte er von einer Patientin, die aufgrund einer schmerzhaften Erkrankung gezielt ein Opioid verordnet bekam. Dies war gegen die Symptome zwar wirksam, doch die Frau entwickelte auch eine Abhängigkeit von Opioid-Schmerzmitteln. Und die Schmerzen verschwanden nicht ganz.

«Uns war im Team zuerst nicht klar, ob die Schmerzen weiterhin von der Vorerkrankung herrühren. Schmerz kann auch das Symptom eines Entzuges sein. Wenn die Medikamente nicht in einer bestimmten Regelmässigkeit, auf den Tag verteilt, eingenommen werden, kann dies Schmerzen verstärken», erklärte Roberto Pirrotta. Man habe die Patientin dann angeleitet, die Medikamente in einem strengen Rhythmus zu nehmen, was Linderung gebracht habe. «Sie erhielt damit auch das Gefühl zurück, die Schmerzen selber beeinflussen und ein Stück weit kontrollieren zu können.»

Seelisch und körperlich verletzt

Wie bringt man Menschen mit einer bestehenden Sucht, obdachlose oder verwahrloste Personen dazu, Schmerzmittel in einer palliativen Situation regelmässig einzunehmen? Wie verhindert man einen Mischkonsum, der noch mehr Schaden anrichten würde? Diese Fragen – so die einhellige Meinung an der Weiterbildung – können nicht pauschal beantwortet werden.

Roberto Pirrotta plädierte für massgeschneiderte Lösungen für jede Patientin und jeden Patienten: ein Konzept, das in der Palliative Care selbstverständlich ist.

Der Arzt machte an der Weiterbildung eindrücklich klar, wie vulnerabel Suchtpatientinnen und Suchtpatienten sehr häufig sind. «Ihre Biografien sind oft von Brüchen und Traumata geprägt, sie sind seelisch und körperlich verletzt. Wichtig ist, zuerst Vertrauen zu schaffen und eine Beziehung aufzubauen, die Stabilität geben kann.» Auch das ist eine Parallele zur Palliative Care: Der Beziehungsaufbau bildet im Alltag der spezialisierten Palliative-Care-Teams einen Schwerpunkt.

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