Wenn das Leben traurig ist, kann Psychotherapie helfen

01.10.24

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Joseline Pampaluchi, Psychotherapeutin in Winterthur.

Joseline Pampaluchi begleitet Einzelpersonen und Familien mit Kindern während Krankheiten und beim Sterben. Die Psychotherapeutin aus Winterthur musste in ihrem eigenen Leben schon viel Trauer verarbeiten.

Der Blick aus ihren blaugrünen Augen heisst das Gegenüber willkommen. Lädt ein, zu erzählen. Aus dem Leben, vom Sterben, von der Trauer danach. Joseline Pampaluchi hat viel Erfahrung darin, mit Menschen zu sprechen, die einen Schicksalsschlag durchleben. Und sie kann gut nachvollziehen, was es heisst, einen der liebsten Menschen zu verlieren.

Leider, muss man hinzufügen, denn die 74-Jährige hat selber mehrere Schicksalsschläge erlebt, die ihr Privat- und ihr Berufsleben stark geprägt haben. Mit 16 Jahren wurde sie von der Mutter aus dem Internat nach Hause gerufen, um ihren schwer kranken Vater, den sie sehr liebte, bis zum Tod zu pflegen. «Das war meine erste Lehre, und ich bin dankbar dafür», sagt sie rückblickend. Eine frühe Ehe mit zwei Kindern scheiterte, sie schlug sich alleine durch, absolvierte ihre Ausbildung als Psychologin und Psychotherapeutin. Der Sohn starb an Krebs, als er 36 Jahre alt war. Seither hat Joseline Pampaluchi selber zwei Krebsdiagnosen erhalten.

Mut haben, zu erzählen

Das alles ist viel auf einmal. Viel für einen einzigen Menschen. Das spürt auch sie, ohne sich selber zu bemitleiden. Doch das Schicksal lastet auf ihr, und sie versteckt die Trauer darüber nicht. Im Gespräch über ihr Leben gibt es emotionale Momente, sie taucht ab in ihre Gedanken, richtet den Blick nach innen, und als sie die Augen wieder öffnet, schimmern Tränen darin.

Doch Joseline Pampaluchi hat gelernt und geübt, mit alldem umzugehen; mal besser, mal schlechter. Ihr Studium und ihre Erfahrung helfen ihr dabei, sich nicht zu verschliessen, sondern sich auszutauschen über das, was passiert ist und was sie beschäftigt. Über ihr Leben zu sprechen, fällt ihr dennoch nicht leicht. Sie hat gezögert, mit ihrer Geschichte und ihrer Arbeit in die Öffentlichkeit zu treten. Tat es dann aber doch.

In einer E-Mail schreibt sie nach unserem Gespräch: «Nach aussen zu treten, ist etwas, das nicht in erster Linie mit mir als Person zu tun hat, sondern mit dem psychologischen Aspekt, den Mut zu haben, die eigene Geschichte zu erzählen; das Traurige und die Verzweiflung nicht ins Zentrum zu stellen, sondern als Teil des ganzen Lebens zu benennen.»

Joseline Pampaluchi erzählt ihre Geschichte auch deshalb, weil sie aus psychologischer Perspektive weiss, wie wichtig das ist – und weil sie anderen Betroffenen Mut machen möchte, darüber zu sprechen und sich eventuell fachliche Begleitung zu holen. «In der Traumatherapie sagt man: Wenn man offen und ehrlich darüber reden kann, was einem passiert ist, ohne wieder total leidend zu sein, hat man einen grossen, wichtigen Schritt, das heisst ein grosses Stück geistig-seelische Verarbeitung gemacht.»

«Psycho» bedeutet nicht «gaga»

Im Podcast-Gespräch mit Palliaviva erzählt Joseline Pampaluchi ihre eigene Lebensgeschichte. Wichtig ist ihr aber auch, zu vermitteln, wie sie arbeitet und warum es in ihren Augen wichtig ist, dass Betroffene in palliativen Situationen psychotherapeutische Unterstützung erhalten, wenn sie es wünschen. Joseline Pampaluchi lebt mit ihrem zweiten Mann, dem Hausarzt und Palliativmediziner Reto Pampaluchi, in Winterthur. Beide sind mit Palliaviva verbunden, weil sie ebenfalls mit Patientinnen und Patienten arbeiten, die bis zuletzt zu Hause bleiben möchten.

In eine Familie hineinzukommen, sie dazu zu bringen, das Angebot der Psychotherapie anzunehmen, sei nicht immer einfach, erzählt Joseline Pampaluchi. «Es gibt noch viele Menschen, die meinen, ‹psycho› heisse ‹gestört›, ‹krank›, ‹gaga›. Und wenn es traurig und schwierig ist im Leben oder beim Sterben, dann haben sie Mühe, sich eine Psychologin zu holen, weil sie nicht ‹gaga› sind. ‹Psycho› bedeutet auf Griechisch ‹Seele›.»

Diese Erfahrung machte sie zum Beispiel mit einem Mann, dessen 40-jährige Frau an Lungenkrebs erkrankt war. Er fragte Joseline Pampaluchi, ob er denn psychisch krank oder gestört sei. Sie sagte, dass dem nicht so sei, und erklärte, worin sie ihre Aufgabe sieht. «Es ist wie ein gemeinsames Verarbeiten des Schocks und der schwierigen und traurigen Gedanken und Gefühle. Und es ist ein gemeinsames Suchen nach Lösungen in der aktuellen Lebenssituation.» Die Frau mit dem Lungenkrebs lag im Spital und wollte nur heim, um zu Hause zu sterben. «Ich besuchte sie, der Mann kam dazu, ich bestellte den Arzt, und wir brachten mit etwas Mühe durch, dass sie heimgehen konnte.»

Kostbare Begegnungen

Joseline Pampaluchi war dann bei der Familie zu Hause, mit den Angehörigen und Freunden in der Küche. Sie erinnert sich: «Der kleine Bub sass auf meinem Schoss, seine Schwester war auch da. Dann malten die Kinder und ich fürs kranke Mami, das in der Stube im Pflegebett lag, einen grossen Schmetterling, der nachher plastifiziert sogar auf dem Friedhof war. Zwischendurch gab es persönliche Gespräche mit dem Mann allein, mit der Frau allein, mit dem Paar und in der Küche mit dem Besuch.» Solche Geschichten habe sie viele erlebt, betont sie. «Keine ist gleich wie die andere, aber jede ist kostbar.»

«Ich bin in der Palliativ-Psychotherapie sehr oft auch Postillion», sagt Joseline Pampaluchi. «Das ist nicht immer einfach, aber sinnvoll.» Patientinnen und Patienten getrauten sich manchmal nicht, der Familie schwere Tatsachen ehrlich zu kommunizieren.» Sie versuche dann, die Betroffenen «kompetent» zu machen. Wenn das nicht möglich sei, übernehme sie die Aufgabe, aber nur mit einem klaren Auftrag und in Anwesenheit aller, die es betrifft.

Eine andere Situation ist Joseline Pampaluchi ebenfalls sehr in Erinnerung geblieben: «Ein 60-jähriger, schwer kranker Mann fragte mich beim ersten Besuch, ob ich mit ihm das Vaterunser beten würde. Er sagte, seine Frau halte das Beten nicht mehr aus. Sie meine dann, dass er grad sterbe. Wir beteten, und er fragte, ob ich bald wieder komme, es gäbe da noch Einiges zu besprechen. – Fing jetzt das Therapeutische schon mit dem Beten an oder erst danach?»

Eine Kerze anzünden

Beten ist ein Ritual, das manchen Menschen liegt. Joseline Pampaluchi findet Rituale wichtig und macht die Erfahrung, dass sie vielen Betroffenen guttun. Zu ihrer psychotherapeutischen Arbeit gehört, miteinander herauszufinden, welche Rituale passend sind und diese dann umzusetzen. Eines der einfachsten Beispiele sei, eine Kerze anzuzünden und zu fragen: «Was bedeutet das für dich?» Antworten gibt es viele, sie reichen von «Licht», «Himmel», «Sterben» bis hin zu «Schutzengel», «Geburtstag» oder «Weihnachten».

Ebenso wohltuend könne es sein, sich abends in der Familie ein gutes Erlebnis des Tages zu berichten, ein Musik- oder Film-«Wunschkonzert» zu veranstalten, mit Seifenblasen zu spielen oder gemeinsam den Sternenhimmel zu betrachten. Alle diese Rituale liefern Anknüpfungspunkte, um miteinander im Gespräch zu bleiben.

Joseline Pampaluchi sagt: «Ich bin dankbar für mein Leben und glücklich über meine Berufung.»

Das ganze Gespräch gibt es hier als Podcast zu hören.

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