Wenn Kinder die Mutter oder den Vater verlieren

04.09.24

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Porträt von Palliaviva-Mitarbeiterin Stefanie Senn.

Stefanie Senn ist im Palliaviva-Team Rot und vor allem in der Region Winterthur-Andelfingen tätig. Sie ist selber Mutter von zwei Töchtern.

Alt werden und sterben – das ist nicht allen Menschen vergönnt. Das Palliaviva-Team begleitet oft auch jüngere Menschen, und manche von ihnen sind Mütter und Väter. Pflegefachfrau Stefanie Senn weiss aus eigener Erfahrung, dass jedes Sterben das Familiensystem verändert.

Der Tod eines geliebten Menschen hinterlässt immer eine riesige Lücke. Sind unter den Hinterbliebenen auch Kinder, wiegt der Verlust für sie umso schwerer. Der Tod der Mutter oder des Vaters ist ein tiefer Einschnitt, wie die Erfahrung zeigt.

Zum Alltag des spezialisierten Palliative-Care-Teams von Palliaviva gehört es immer wieder, auch jüngere, schwer erkrankte Menschen zu begleiten, die nicht selten auch Kinder haben. Stefanie Senn vom Palliaviva-Team erzählt von einer Familie, die sie und ihre Kolleginnen Anfang Jahr begleitet haben: Die zwei Kinder waren noch nicht 10-jährig, als der Vater die Diagnose einer unheilbaren Krankheit erhielt.

Offene Kommunikation

Für den erkrankten Vater war es klar, dass er bis möglichst zuletzt zu Hause bleiben und dort gepflegt werden wollte. Diesen Wunsch äusserte der Patient selbstverständlich gegenüber seiner Partnerin und gegenüber dem Palliaviva-Team, das auf die Begleitung zu Hause spezialisiert ist. Und auch die Kinder wurden über die traurigen Tatsachen informiert.

«Diese Familie sprach sehr offen über die Krankheit des Vaters und über den bevorstehenden Tod», erinnert sich Stefanie Senn. «Die Mutter setzte sich mit jedem Kind einzeln hin und sprach mit ihm, fragte es nach seinen Wünschen und Bedürfnissen.» Die auf Palliative Care spezialisierte Pflegefachfrau plädiert genau dafür: mit den Kindern offen zu sein, sie aber auch nicht zu überfordern. «Kinder müssen wissen, dass sie sagen dürfen, wenn es ihnen zu viel wird», hält sie fest.

Im konkreten Fall wurden die Kinder psychologisch betreut. Nicht immer sei das unbedingt nötig, findet Stefanie Senn. Sie habe die Erfahrung gemacht, dass es durchaus auch Konstellationen gebe, in denen die Bedürfnisse der Kinder sehr gut durch Familienangehörige abgedeckt werden könnten. «Aber jede Familie und jedes Kind ist anders.» Man könne hier nichts pauschalisieren.

Wünsche für die Mutter

Sie erinnert sich auch gut an die erste Situation mit einem Kind, die sie als junge Pflegefachfrau im Spital erlebte. Die Patientin war eine Frau mit einem Hirntumor. Deren noch nicht 5-jähriger Sohn sei immer wieder mit einer Bezugsperson, einer Tante oder einer Freundin der Mutter, zu Besuch gekommen. «Er turnte auf dem Bett herum und wirkte fröhlich.»

Der Mutter sei es offenbar gelungen, auf eine gute Art offen mit dem Buben zu sprechen. «Er äusserte jedenfalls sehr konkrete Wünsche, wie seine Mutter zu schminken sei und was man ihr nach dem Tod anziehen solle.» Stefanie Senn kam, weil sie zufällig dann arbeitete, schliesslich die Aufgabe zu, diese Wünsche zu erfüllen. «Das Kind hat mich sehr beeindruckt.»

Die Kinder auffangen

Stefanie Senn ist 42 Jahre alt, verheiratet und Mutter zweier Teenager-Töchter. Sie arbeitet im Team Rot von Palliaviva, also vor allem im Raum Winterthur-Andelfingen. Im Gespräch erwähnt sie, dass sie selber erfahren hat, wie der Tod eine Familie verändern kann. «Als ich 2 Jahre alt war, starb meine damals 6-jährige Schwester an einer Hirnhautentzündung. Innerhalb eines Tages war sie tot.» Konkrete Erinnerungen habe sie nicht an diese Zeit, doch irgendwann begann sie, ihren Eltern ganz viele Fragen zu stellen. «Damals sprach man nicht über den Tod», fasst sie zusammen, bringt dafür aber auch ein gewisses Verständnis auf: «Wenn man ein Kind verliert, tut das dermassen weh. Das ist auch nach 40 Jahren noch präsent.»

Die Erfahrung in der eigenen Familie habe im Unterbewusstsein wohl zu ihrer Berufswahl beigetragen, sagt Stefanie Senn. Und schon als junge Pflegefachfrau habe sie sich für palliative Patientinnen und Patienten interessiert. Darum habe sie später entschieden, sich zu spezialisieren.

Stefanie Senn macht im Arbeitsalltag die Erfahrung, dass der Verlust der Mutter oder des Vaters sehr prägend ist für das Leben der Kinder. Umso wichtiger sei es, die Kinder aufzufangen, ein Sicherheitsnetz für sie zu knüpfen mit Kontakten zu Fachleuten, die sich bei Bedarf um sie kümmern. Und die Pflegefachfrau ergänzt: «Wichtig ist in meinen Augen, dass die Angehörigen dranbleiben und bei den Kindern auch später wieder aktiv nachfragen, wie es ihnen geht. Das kann Jahre oder Jahrzehnte nach dem Ereignis immer noch von grosser Bedeutung sein.»

Das ganze Gespräch gibt es hier als Podcast zu hören.

Buchtipp & Blog-Beitrag zum Buch: Katharina von der Gathen, Anke Kuhl: Radieschen von unten ‒ Das bunte Buch über den Tod für neugierige Kinder. Klett Kinderbuch. 160 Seiten. ISBN 978-3-95470-285-5

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