Wenn Trauer im Dienstplan steht

23.12.16

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Bis Ende Jahr ist das Gefäss mit den Namen der Verstorbenen jeweils prall gefüllt. Im nächsten Januar werden die Zettel feierlich im Wald verbrannt.

Für eine Mitarbeiterin eines Palliative-Care-Dienstes gehört es zum Alltag, dass jede Patientin und jeder Patient irgendwann stirbt. An diese Tatsache gewöhnen kann man sich vielleicht, aber einfach wegstecken kann man sie nicht. Wie geht man damit um?

Vier Mal pro Jahr setzt sich das Team von Onko Plus hin, nimmt sich ein paar Stunden Zeit und verabschiedet sich von seinen Patientinnen und Patienten. Das Ritual ist immer dasselbe: Alle sitzen um den Sitzungstisch. Eine Kerze brennt. Jemand hat einen Stapel mit den Patientenakten vor sich und liest langsam Name für Name vor. Es sind immer viele Blätter, viele Namen. Pro Quartal sterben zwischen 60 und 70 Patientinnen und Patienten. Die anderen Kolleginnen schreiben die Namen auf bunte Zettel, falten und legen sie in eine grosse Vase.

Immer wieder sind kleine Bemerkungen wie «Ah, ja die Frau M.!», ein Seufzen oder ein Lachen zu hören. Manchmal erzählt jemand eine Anekdote, zum Beispiel wie eine Patientin den Besuch bis zum Schluss stets perfekt geschminkt und frisiert empfangen habe oder wie bei einem Homosexuellen-Paar immer «Rambazamba-Musik» lief.

«Es geht um Menschen hinter den Diagnosen»

«Die Pflegenden sollen Abschied nehmen können von den Menschen, die sie gepflegt und zu denen sie eine Beziehung aufgebaut haben», sagt Geschäftsleiterin Ilona Schmidt. Das Vorlesen der Namen in der Runde solle helfen, sich an den Menschen zu erinnern, nicht an den Patienten. «Es soll kein Rapport sein. Es darf nicht um medizinische Inhalte gehen, sondern um die Menschen hinter den Diagnosen. Wie waren sie?»

In der Institutionalisierung, darin, dass dieses Ritual fix in den Dienstplan einkalkuliert ist, sieht Ilona Schmidt kein Problem. «Ja, es ist ein institutionelles Gefäss für Psychohygiene wie es die Supervision und die Teamsitzung auch sind.» Es sei aber klar, dass jede Mitarbeiterin Trauerarbeit auch für sich persönlich leisten müsse. Das gemeinsame Ritual ersetze dies nicht.

Onko-Plus-Mitarbeiterin Silke Willrodt sagt, sie möge den Austausch in der Gruppe. Auch wenn seit dem Tod der Patientin oder des Patienten schon etwas Zeit verstrichen sei. «Es ist schön im Nachhinein in der Gruppe zu hören, was die anderen mit den Patienten erlebt haben.» Das seien häufig Begebenheiten von früher und nicht nur aus der allerletzten Lebensphase, die man vielleicht noch im Kopf habe. Zu spät finde das Ritual nicht statt: «Über aufwühlende Situationen sprechen wir sowieso möglichst bald miteinander.»

Mit dem Rauch in den Himmel

Die Verstorbenen sollen auch im Onko-Plus-Büro einen Platz erhalten, nicht nur in den Aktenschränken. Die Vase, die zentral im Eingangsbereich steht, füllt sich bis Ende Jahr nach und nach. Am Anfang des neuen Jahrs, immer im Winter, trifft sich das Team im Wald, um die Namen in einem grossen Feuer zu verbrennen, und die Seelen mit dem Rauch in den Himmel aufsteigen zu lassen.

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